Monatszeitung für Selbstorganisation
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LOSSEHOFMein neues Leben in der KommuneIn unserer Sommerausgabe veröffentlichten wir einen Aufruf zu Austausch und Auseinandersetzung mit der im Frühjahr 2012 gestarteten Kommune, die aus dem »Los geht’s 2011«-Treffen zu Pfingsten 2011 hervorging. Die VeranstalterInnen – das Kommuja- Netzwerk – hatten damals die Idee, ihr traditionelles Treffen auf einem zum Verkauf stehenden Hof zu veranstalten. Nachstehend ein Bericht über das bisherige Geschehen. Von Claudia Herbst, Lossehof # Hier will ich berichten, wie sich die Dinge in unserer frisch gegründeten Kommune entwickeln. Der Lossehof liegt in Oberkaufungen bei Kassel, in direkter Nachbarschaft zu den drei weiteren Kommunen Niederkaufungen, gASTWERKe und Villa Locomuna. Ein einjähriger Gründungsprozess liegt nun hinter uns und seit Mai 2012 können wir nach und nach in unsere provisorischen Unterkünfte einziehen. Denn leider ist der Hof unserer Träume noch nicht bewohnbar. Nach einer reinen Planungsphase gehen wir jetzt von der Theorie zur Praxis über: Unser gemeinsamer Kommune-Alltag ist jetzt Wirklichkeit geworden. Zunächst will ich erzählen, wie unser Gründungsprozess abgelaufen ist. Es geht um die Zeitspanne zwischen Frühjahr 2011 und Frühjahr 2012. Zu Pfingsten 2011 fand das »Los Geht’s Kommune Treffen« auf unserem jetzt gekauften Hof statt. Ein paar Niederkaufunger Kommunarden wollten dort etwas Neues wagen und fanden ca. 30 begeisterte Menschen, die sich ins Abenteuer stürzen und ein neues Kommune-Projekt entwickeln wollten. Aus dieser Gruppe entstand allmählich ein fester Stamm von Leuten. Einige gingen, andere kamen. Wir trafen uns regelmäßig ungefähr alle 3 Wochenenden. Anfangs zelteten wir auf der Obstwiese am Lossehof. Für mich war es eine elende Schlepperei: Ich sehe mich noch an manchem Freitag, bepackt mit unserem Zelt, drei Schlafsäcken, drei Isomatten und einem Tramperrucksack voller Kleider für meine Kinder und mich, plus der Wochenendration Windeln, auf den Kinderwagen gestützt, in Hamburg zur S-Bahn-Station Reeperbahn watscheln. Mangels Fahrstuhl gewöhnte ich mir schnell an, kaum an der Treppe angelangt, sofort um Hilfe zu brüllen. Das klappte gut. Als es zu kalt wurde, um auf dem Hof zu zelten, durften wir die Räume der Freien Schule in Kassel für unsere Treffen nutzen. Neben den Treffen war das Internet unser wichtigstes Vernetzungs-Instrument. Wir richteten eine E-Mail-Liste ein, stimmten unsere Termine über Doodle ab und organisierten unseren Austausch im Riseup- Wiki. Wir bildeten Arbeitsgruppen (AGs) zu verschiedenen Themen und tauschten uns auf zusätzlichen Treffen, per E-Mail und Telefonkonferenz aus. Die Ergebnisse unserer Überlegungen stellten wir dann der Gesamtgruppe im Plenum vor. Thematisch lässt sich unsere Arbeit in drei große Bereiche gliedern, die sich zum Teil überschneiden: 1. Pragmatisches (Finanzen, Kaufverhandlungen, Organisation der Treffen, Arbeitsbereiche abstecken); 2. Politisch-Weltanschauliches (Gemeinsame Ziele, Sinn und Zweck der Kommune, gemeinsame (?) politische Praxis); 3. Soziales (Entwicklung eines Entscheidungsfindungsmodells mit verschiedenen Varianten, Spiele, Spaß und Albernheiten, Konfliktbearbeitung, Aufnahme von Neuen, Bildung einer festen Gründungsgruppe). Die zentrale Frage, die wir uns immer wieder stellten, lautete: Was brauchen wir jetzt, damit die Gruppe gut weiter bestehen kann? Zum Beispiel: Eine Finanzberatung? Ein Baugutachten? Einen Termin bei der Therapeutin? Ein gnadenlos albernes Spiel? Ein Gespräch unter vier Augen? Ein Gespräch mit einer vermittelnden Person? Kinderbetreuung? Mehr Informationen zu einem bestimmten Thema? An manchen Punkten lagen unsere Ansichten darüber, was nun an der Zeit und gut sei, teils weit auseinander. Es gab und gibt unterschiedliche Einschätzungen zu unserem finanziellen Druck, unterschiedliche Ansprüche an die Genauigkeit und auch Dringlichkeit unserer Beschlüsse, sich entgegenstehende Wünsche nach Intimität oder Offenheit. Für uns Einzelne heißt das abzuwägen: Wie wichtig sind mir meine derzeitigen Bedürfnisse? Was betrachte ich als dringend notwendig dafür, dass ich darauf vertrauen kann, dass die Gruppe insgesamt eine gute Entwicklung nimmt und es auch in meinem Sinne vorwärts geht? Muss ich etwas einfordern, weil dieser Wunsch mir sehr dringlich ist? Kann ich mein Bedürfnis im Interesse der Gruppe oder einzelner KommunardInnen zurückstellen? Wo mache ich auf keinen Fall Kompromisse? Was will ich in der Verantwortung der Einzelnen lassen? Wofür möchte ich in der Gruppe verbindliche Richtlinien und Strukturen entwickeln? Und wie um Himmels Willen behalte ich hier den Überblick? In der Schlussphase unseres Gründungsprozesses gab es einige besonders wichtige Schritte: • Einzelgespräche: An einem Wochenende nahmen wir uns Zeit, uns gegenseitig zu sagen, was wir aneinander schätzen, wo wir Konfliktpotential sehen und wo wir tatsächlich schon Schwierigkeiten im Umgang miteinander hatten oder haben. • Selbsteinschätzung zu den Fragen: Traue ich mir jetzt und mit dieser Gruppe unter diesen Umständen zu, eine Kommune zu gründen? Was fehlt mir eventuell? Passt es überhaupt? Am Ende fanden alle ihren Platz: in der Gründungsgruppe, als noch unentschiedene Interessierte oder ganz außerhalb der Kommune. • Kaufverhandlungen: Unsere Finanzarbeitsgruppe bereitete eine Übersicht über unser voraussichtliches Einkommen incl. Fördergelder vor. Daraus entwickelten wir ein Mandat für die Verhandlungsgruppe, die mit dem Vertreter der Erbengemeinschaft des Hofs um den Preis verhandelte. Nachdem wir uns als Gruppe gefestigt hatten und die Kaufverhandlungen abgeschlossen waren, luden wir zu Pfingsten 2012 neue Interessierte ein, uns und unser Projekt kennen zu lernen. Einige davon sind wieder gekommen oder sagten uns, dass sie kommen wollen. Andere haben auch von uns erfahren und kommen mit ihren Schlafsäcken und Rucksäcken und Ideen zu uns. Während wir also an unseren Übergangsunterkünften werkeln, die Kinder füttern und unsere Privat-Finanzen aufdröseln und in die gemeinsame Ökonomie überführen, sehen wir nicht selten ein neues neugieriges Gesicht. Schwankend zwischen Stolz und Scham führen wir die Neuen, Freunde und Bekannte über den Hof und durch die WGs. Ja – was für ein schönes Fachwerkhaus. Igitt – ne Mäusefalle. Haha – schlau gesagt, lieber Mitbewohner. Au weia – da lässt aber wieder jemand platte Sprüche ab. Was für ein toller selbst gemachter Brotaufstrich! Wo kommt eigentlich die Mayonnaise mit den Eiern von gequälten Hühnern her? Mit dem Zusammenleben treten neue Fragen in den Vordergrund. Wir sind enger zusammen gerückt, freuen uns aneinander und nerven uns gewaltig. Vieles wird verbindlicher. Manche Hoffnungen werden bestätigt und manche enttäuscht. Und es gibt immer wieder überraschend neue (feine) Züge an den anderen zu entdecken. Für einige von uns ist es ganz neu, ständig mit so vielen Menschen zu tun zu haben. Auch unsere Wohnumstände sind zum Teil radikal anders als vorher. Ich tauschte meine lichtdurchflutete Hamburger Neubauwohnung gegen ein muffiges dunkles Haus ein. Der Vormieter hat es sich nach seinem Geschmack umgebaut und es erinnert mich in vieler Hinsicht an einen Partykeller aus den Siebziger Jahren. Statt der Hauptverkehrsstraße führt jetzt ein Spazierweg an meinem Fenster vorbei und erheiternde und mysteriöse Gesprächsfetzen der HundespaziergängerInnen beflügeln meine geistige Vorstellungskraft. Eine Quelle hinter dem Haus plätschert mir jeden Abend ein idyllisches Schlaflied. Die gesamte Gruppe lebt zur Zeit auf 4 Wohngemeinschaften in verschiedenen Häusern verteilt. Das bringt es mit sich, dass die WGs im Moment einen höheren Stellenwert im Zusammenleben haben als später, wenn wir alle auf dem Hof wohnen wollen. Neben dem wöchentlichen Plenum ergibt sich nicht immer die Gelegenheit alle Projekt-Mitglieder zu treffen. Das Plenum veranstalten wir zur Zeit abwechselnd abends und vormittags, damit sowohl unsere Leute dabei sein können, die vormittags arbeiten, als auch alle, die abends die Kinder ins Bett bringen. Zusätzlich machen wir nach wie vor unsere Gruppenwochenenden, um größere Themen zu bearbeiten und den Kontakt untereinander zu pflegen, jenseits der üblichen Alltagslasten. Ich bin gespannt, wie sich unsere Kommune auf den verschiedenen Standorten mit der Zeit entwickeln wird. Wer zieht längerfristig in welche WG? Wer kommt neu dazu? Gründen wir noch eine fünfte WG? Wann ist der Hof so weit fertig, dass Leute einziehen können? Wer zieht als erstes dort ein? Neben der Hofbaustelle und den kleineren Baustellen in unseren Übergangswohnungen gibt es noch vieles andere zu tun. Auf unserer langen Themen-Liste stehen als nächstes unter anderem: • Gewaltfreie Kommunikation üben; • Struktur und Arbeitsprofil für unsere gemeinsame Verwaltung erstellen; • unsere Bauvorhaben nach Dringlichkeit sortieren; • ein Umzug; • Anschaffung von Autos; • Ordnung schaffen und eine Übersicht erstellen, was wo aufbewahrt werden soll; • Direktkredite werben (Hast du etwa Geld zu verleihen? Dann schau dir mal auf unserer Website an, wie du es bei uns anlegen kannst...). Neugierige sind herzlich willkommen und wir suchen nach wie vor noch EinsteigerInnen. Aber bitte meldet Euch vorher an. Wir möchten uns nämlich sicher sein, dass wir auch Zeit für Euch haben. Wäre doch blöde, wenn ihr am Ende allein am Frühstückstisch sitzt, oder? Kontakt: |
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