SELBSTHILFEGENOSSENSCHAFTEN - DIE WIR-EG
Arbeitsplätze durch Selbsthilfe
Selbsthilfe des Einzelnen führt schnell zu Überforderungen.
Im Vergleich dazu bietet Selbsthilfe mit mehreren Betroffenen, die sich
vernetzen und wechselseitig unterstützen, besondere Chancen. Gruppenselbsthilfe
bedeutet symbolisch gesprochen, dass viele Hände gemeinsam ihre Arbeit
miteinander verbinden und damit ihre Kräfte bündeln. Selbstverständlich ist
die Gruppenselbsthilfe kein Allheilmittel. Unser Schwerpunkt geht der Frage
nach, wie sie funktionieren kann. Nicht nur sehr unterschiedliche
Unternehmenstypen werden anhand konkreter Beispiele veranschaulicht, sondern es
wird auch deutlich, dass in vielen Fällen Selbsthilfe der Unterstützung
bedarf. Oft lässt erst die Hilfe zur Gruppenselbsthilfe aus diesem Mythos
konkrete Organisationen werden mit Menschen, die von Erfolgen und Misserfolgen
ihrer gemeinsamen Anstrengungen geprägt sind.
Burghard Flieger und Peter Streiff, Red.
Genossenschaften - Vorweg: Was aber sind überhaupt
Selbsthilfegenossenschaften? Wesentliches Merkmal von Selbsthilfe ist, die
eigenen Ressourcen in Form von Arbeitskraft, Kapital, Land und Fähigkeiten zu
nutzen. Sie ist eine Reaktion auf objektive Notlagen oder auf subjektiv als
unbefriedigend empfundene Situationen. Als Selbsthilfegenossenschaft gilt der
Zusammenschluss einer Gruppe von Menschen, die Ausgrenzung und Benachteiligung
erfahren oder unterhalb der Armutsgrenze leben, und die sich über
wirtschaftliche Aktivitäten in einer Organisation selbst helfen. Sie ist nach
den genossenschaftlichen Prinzipien, dem Förder-, Identitäts-, Demokratie- und
Solidaritätsprinzip, strukturiert.
Hilfen für die Gründung
Bis die Mitglieder einer Selbsthilfegenossenschaft auf eigenen Beinen stehen,
benötigen sie meistens Hilfe von außen über Beratung, Qualifizierung, Zuschüsse
bei der Finanzierung etc. Diese sollte aber immer so angelegt sein, dass sie die
Eigeninitiative und Selbstverantwortung der Beteiligten stärkt. Dabei steht die
Hilfe in Form von Finanzierung nicht unbedingt an erster Stelle. Dies
veranschaulicht Jost W. Kramer, Professor an der Hochschule Wismar, in seinem
einleitenden Beitrag. Er spricht von beschäftigungsorientierten
Genossenschaften und macht deutlich, dass die Berliner Förderkredite für Genossenschaftsgründungen
zu kurz greifen. Er plädiert dafür, InteressentInnen im Rahmen eines "Cooperation
Assessment Center" näher mit dem Genossenschaftskonzept vertraut zu
machen.
Welche Schritte sinnvoll sind, um über Selbsthilfegenossenschaften neue Wege
zur Sicherung und Erweiterung der Beschäftigung zu erschließen,
veranschaulicht der zweite Beitrag. Im Mittelpunkt steht ein Überblick über
geeignete Instrumente, die die Gründung und Stabilisierung von
Selbsthilfeunternehmen in genossenschaftlicher Rechtsform erleichtern. Sie
wurden in einer zweieinhalbjährigen Projektphase im Rahmen eines EQUAL-Projekts
von der innova eG entwickelt. innova begleitet Erwerbslose bei der
Neueinrichtung dauerhafter Arbeitsplätze in Genossenschaften. Zentraler
Baustein der Arbeit sind Qualifizierungen. In diesen werden das Wissen und die Fähigkeiten
erworben, die erforderlich sind, um gemeinsam mit anderen ein Unternehmen zu führen.
Wichtige Lobbyarbeit
Im Mittelteil des Schwerpunkts stehen drei ausführlich geschilderte
Beispiele neu gegründeter Selbsthilfegenossenschaften. Bei ihnen geht es immer
um die Schaffung oder Absicherung von Erwerbsarbeit, verwirklicht in sehr
unterschiedlichen Formen. Bei der SAGES eG aus Freiburg sollen mittelfristig im
eigenen Unternehmen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen.
Dagegen agieren die Mitglieder der Genossenschaft euregio-it eG aus Aachen als Selbständige,
die untereinander auftragsabhängig Kooperationen eingehen. Wie andere Vorbilder
zeigen, haben sie in der IT-Branche besonders gute Chancen, da hier die Mischung
von Selbständigkeit und Kooperation zukunftsweisend ist. Das dritte Beispiel
ist eine Stadtteilgenossenschaft. Sie zeichnet sich mehr als andere
Genossenschaftsformen durch die Heterogenität ihrer Mitglieder aus. Größere
Synergien, aber auch mehr Konflikte sind die voraussichtlichen Folgen. Trotz der
unterschiedlichen Mitglieder verfolgt die Stadtteilgenossenschaft Sonnenberg in
Chemnitz als zentralen Foerderauftrag, Arbeitsplätze mit Anstellungsverhältnissen
zur Verfügung zu stellen.
In den beiden abschließenden Artikeln des Schwerpunkts stehen konzeptionelle
Aspekte im Vordergrund. Burchard Boesche vom Zentralverband deutscher
Konsumgenossenschaften setzt sich engagiert für die Chancengleichheit der
Genossenschaft in der deutschen Rechtsformenlandschaft ein. Zu diesem Zweck plädiert
er dafür, die Genossenschaftsprüfung für Kleingenossenschaften hinsichtlich
der formalen Anforderungen und auch bei den Kosten erheblich zu entlasten. Als
Ausblick und als Konsequenz aus der bisherigen Arbeit der innova eG wird eine
Multiplikatorenfortbildung für genossenschaftliche Projektentwicklung
dargestellt. Sie startet Anfang naechsten Jahres und soll Promotoren ansprechen,
die sich verstärkt bei Neugründungen vor Ort engagieren wollen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10