Hierarchie im selbstverwalteten Betrieb!?
Wer kennt sie nicht, die Strukturen der Macht,
ohne die die Mächtigen machtlos wären? Wir haben sie durchlebt und
verinnerlicht, reflektiert oder unreflektiert, mehr oder weniger. Sie begegnen
uns tagtäglich und sie haben Geschichte.
Es wird dafür gesorgt, daß wir in geordneten
Verhältnissen ,,herangezogen" werden. Zunächst erfolgt ein eingehendes
Training in der Familie, später in der Schule, damit wir dann irgendwann auch
ordnungsgemäß funktionieren können. Der große Schritt ins Leben, in das
sogenannte Arbeitsleben, öffnet uns schließlich die Augen und wir begreifen
warum das alles so sein muß. Es gibt ein Oben und ein Unten, jeder erhält
seinen Platz.
Bärbel Stiller, Red. Bremen - Da haben wir den
Hilfsarbeiter, den Facharbeiter, den Sachbearbeiter, den Teamleiter, den
Gruppenleiter, den Bezirksleiter, den Personalleiter, ...leiter, ...leiter, bis
wir schließlich den wirklichen Leitern gegenüberstehen. Was immer sie
betreiben, ihr Geschäft ist das der Ausbeutung und Unterdrückung, der
Verunsicherung und der Angst im Interesse des Kapitals das Kapital zu vermehren.
So, und damit wollen wir nichts mehr zu tun haben, sagten die
selbstverwalteten Betriebe. Bei uns gibt es keine Hierarchie. Wir wollen unsere
Arbeitskraft nicht verkaufen, um den Ruhm und Reichtum eines Einzelnen oder
eines Clans zu vermehren, und unser Verhalten ist ebenso wenig käuflich, weder
zum Dollarkurs noch in harter deutscher Währung und schon gar nicht mit einer
Stufe mehr auf der Stufenleiter nach oben. Statt Konkurrenzstrukturen,
verlogenen Kommunikationsebenen und damit einhergehender Vereinzelung wollen wir
gleichberechtigt miteinander und füreinander unter kollektiven Bedingungen
arbeiten. Dies war sicherlich vor zwei oder drei Jahren bei den
Gründungsüberlegungen vieler selbstverwalteter Betriebe ein gewichtiger Punkt.
Und für viele war es wohl auch die Wende, nicht nur von anderen Arbeits- und
Lebensstrukturen zu träumen, sondern ein Stück konkrete Utopie im Hier und
Jetzt verwirklichen zu wollen. Was ist daraus geworden, frage ich mich und frage
ich Euch?
Aus dem Umgang mit der Macht haben wir gelernt. Wichtige Voraussetzungen für
das Entstehen gleichberechtigter Umgangsformen sind gelegt worden. Die
ökonomischen Bedingungen — gleicher Lohn für alle - sind unbestritten Basis
für alle Betriebe. Die Frage der fachlichen Kompetenz als Machtinstrument -
Stichwort Rotation - ist in der Diskussion. Sichergestellt werden soll auf jeden
Fall die Ebene der gleichberechtigten Entscheidung des Einzelnen. Das war das
Ergebnis unseres Treffens in Drübberholz, und damit war die Frage der
Entstehung hierarchischer Strukturen in Alternativbetrieben geklärt und
erledigt. ,,Wir haben andere Bedingungen, und somit existieren derartige
Strukturen nicht". Wer das vertritt, unterliegt einem ganz gefährlichen
Irrtum mit weitreichenden Folgen. Die Frage der Herausbildung von hierarchischen
Strukturen ist nicht nur eine Frage der Organisation. Ich meine, es ist vielmehr
die Frage nach dem anderen Menschen, der sich unter diesen Bedingungen auch ganz
anders entwickeln kann. Ein alternatives Projekt ist keine Insel, auf der ganz
plötzlich Menschen anders miteinander umgehen, nur weil andere
Organisationsformen vorherrschen. Es ist demzufolge im Wesentlichen eine Frage
des individuellen und kollektiven Bewußtseins, ob wir unter uns Machtstrukturen
entstehen und sich verfestigen lassen.
Ich denke, es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen und Anspruch und Wirklichkeit
miteinander zu vergleichen. Die Machtfrage ist gestellt, nicht nur in unserem
Land, sondern auch in unseren selbstverwalteten Betrieben. Gibt es hierarchische
Strukturen in unseren Betrieben, welchen Anteil hat der Einzelne an der
Herausbildung derartiger Strukturen und wo stecken die heimlichen „Hierarchen".
Diese Fragen sollte sich jeder Betrieb offen und ehrlich beantworten. Ich finde
es allerdings absolut wichtig, diese Diskussionen nicht nur auf den eigenen
Betrieb zu beschränken, sondern sie betriebsübergreifend zu führen. Etwas
mehr Öffentlichkeit kann nicht schaden.