Monatszeitung für Selbstorganisation
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NEUES AUS DEM SAARLANDDoch erstens kommt es anders ...Über Entwicklung und Aktivitäten der saarländischen Selbstverwaltungsbewegung im Vorfeld der Landtagswahlen '85 haben wir bereits in CONTRASTE Nr. 7 (April '8S) berichtet; eine Einschätzung der Beziehungen zwischen Sozialdemokratie und Selbstverwaltung - speziell aus saarländischer Sicht - erschien in CONTRASTE Nr. 12 (September '85). An dieser Stelle wollen wir nun die Chronologie der Ereignisse seit den Wahlen fortschreiben. Die bevorstehenden Landtagswahlen im März '85 und den erwarteten Regierungswechsel auf eine Mehrheit von SPD und Grünen vor Augen ließ vor etwa einem Jahr die Vertreter der selbstverwalteten Betriebe im Saarland aufstehen – und sich erst einmal wieder setzen, um in z.T. langwierigen Diskussionen ihre Forderungen nach u.a. Abbau rechtlicher und finanzieller Benachteiligungen genossenschaftlicher Ansätze den vermuteten Wahlsiegern als ersten Schritt zu einer Änderung der bestehenden Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik abzufordern. Doch erstens kommt es anders... Der rote Riese umarmt die grünen Zwerge und diese bereiten sich langsam und zielstrebig auf die Ausübung eines traditionellen Samurai-Ritus vor: Harakiri – wobei sie auch nicht vergessen, die feinen, regionalen Besonderheiten dieser Zeremonie zu berücksichtigen. Die Folgen sind bekannt: Seitdem muß sich die SV-Bewegung hauptsächlich mit der SPD auseinandersetzen. Doch statt der, ob dieser neuen Lage, erwarteten Resignation scheint ein kollektives Aufatmen die Bewegung ergriffen zu haben. Die in der Folgezeit einberufenen Vollversammlungen erleben einen merklichen Zustrom – mitunter sind 40-50 Projektevertreter anwesend, um die anstehenden Probleme und die Vorgehensweise zu erörtern. Noch im März wird dann der „Arbeitskreis der selbstverwalteten Betriebe im Saarland" aus der Taufe gehoben. Um die inhaltliche Diskussion und das weitere Vorgehen zu strukturieren bildet der aus etwa 12 Personen bestehende Kern, der zwischen den Vollversammlungen in 14-tägigem Rhythmus zusammenkommt, vier Arbeitsgruppen:
Als vorrangig muß dann zunächst die Frage der Rechtsform geklärt werden: Soll sich der Arbeitskreis einen eigenen rechtlichen Rahmen geben, sich auf eigene Beine stellen, oder soll er sich, dem in der Zielsetzung ähnlichen, Netzwerk Saar angliedern? Während prinzipiell eine Parallelität der Zielsetzungen gesehen wird und eine Konkurrenzsituation zwischen den beiden Gremien vermieden werden soll, ist eine Kooperation zunächst sehr umstritten und fraglich. Mißtrauen gegen "verkrustete und vereinnehmende" Netzwerk-Strukturen trifft auf das Hemmnis ungeklärter Formalia, wie Fragen der Haftung, Entscheidungsstrukturen, genaue Festlegung der Arbeitsbereiche, u.ä. Nach teilweise mehrstündigen und äußerst kontrovers geführten Diskussionen, kommt es dann doch noch zu einer Annäherung und der Arbeitskreis beschließt, seine Arbeit zukünftig unter dem Dach des Netzwerkes Saar fortzuführen. Aus diesem Grunde lassen sich bei der NW-Gremienwahl am 26. April 10 Projektevertreter in den Beirat wählen. Nach dieser - die Mehrheit zufriedenstellenden - Lösung unserer Handlungsgrundlage sieht es der AK als ein weiteres Ziel an, neben der Weiterentwicklung des Forderungskataloges, die Idee der Selbstverwaltung, die Produktpalette der SV-Betriebe und Projekte, unsere Situation und Forderungen in noch stärkerem Maße in die Öffentlichkeit zu tragen. Nach einer intensiven Vorbereitungsphase findet am 9. Juni die 1. saarländische Projektmesse statt, die, trotz des schlechten Wetters, einen unerwarteten Zustrom erlebt. Am selben Tag erscheint die Nullnummer der "Betriebezeitung", die in einer Auflage von 2.000 Exemplaren kostenlos verteilt wird. Parallel zur Vorbereitungsphase der Projektmesse erarbeiten die Mitglieder des AK auf Basis des "Beschäftigungs- und Wirtschaftsprogramms für die selbstbestimmten Betriebe im Saarland" vom Januar '85 zunächst ein Paket von "5 Vorschlägen . . .für die laufenden Haushaltsberatungen", die am 11.6. dem saarländischen Wirtschaftsminister Hajo Hoffmann übersandt werden: „ ... 1. Einrichtung eines Investitions- und Bürgschaftsfonds zur Stärkung alternativer Wirtschafts- und Produktionsformen. 2. Schaffung eines Haushaltstitels für die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle für selbstbestimmte Projekte mit 2 hauptamtlichen Mitarbeitern. 3. Auflistung von öffentlichen Freiflächen, Gebäuden und Wohnungen, vonAbrißhäusern o.ä. Und von, im Zuge technologischer Neuerungen abgeschriebener oder wertlos gewordener, Maschinen zum Zweck, der Einrichtung einer Info-Börse und zentralen Recycling-Lagerstätte für genossenschaftliche Betriebe. 4. Hilfestellung des Landes für den Aufbau und zur Absicherung SV-Finanzierungssysteme durch die Einrichtung eines Bürgschafts- und Rückbürgschaftsfonds in Höhe von 100.000 DM. 5. Förderung eines Modellversuchs für ganzheitliche Arbeits- und Lebensformen durch einen langfristigen Pacht- bzw. Kaufvertrag. ..." Ausgehend von einschlägigen Planrechnungen entwirft der AK eine detaillierte Checkliste zur Finanzierungs- und Wirtschaftlichkeitsrechnung in den Betrieben, die allen übersandt wird. Sieben erfahrene Vertreter selbstverwalteter Betriebe gründen eine Beratungsgruppe, die es sich zum Ziel setzt, die Anträge zusammen mit den Antragstellern noch einmal zu überarbeiten. Der ursprüngliche Gedanke, pauschal eine Summe von 1,5 Mill. DM zu fordern war nach einer längeren Diskussion verworfen worden. Unsere Forderungen an das Wirtschaftsministerium sollten sich vielmehr konkret an dem tatsächlichen Bedarf orientieren, den wir durch dieses Antragsverfahren unmittelbar nachweisen konnten. Außerdem sollte diese Bestandsaufnahme im Vorfeld einer möglichen Kreditvergabe uns als kompetenten Verwalter dieser Gelder ausweisen. Die Vergabe sollte ja nicht über das Wirtschaftsministerium erfolgen, sondern von diesem an das Netzwerk weitergegeben werden. Nachdem die schriftlichen Anträge der Betriebe von der Beratungsgruppe überprüft sind, errechnen wir einen Bedarf von DM 150.000 an nichtrückzahlbaren Zuschüssen und einen Bedarf in Höhe von DM 500.000 an Krediten zu günstigen Konditionen. Aufgrund dieser Bedarfsanalyse konkretisieren wir am 6. August unsere Hauptforderungen an das Wirtschaftsministerium: *Ausweisung von DM 250.000 für einen nichtrückzahlbaren Investitionsfonds zur Verbesserung der Kapital- und Finanzierungsbasis. * Übernahme einer Landesbürgschaft, um einen Bedarf von DM 750.000 an zinsgünstigen Krediten mit langer Laufzeit für gewerbliche Betriebe abzusichern. Diese Forderungen erscheinen uns durchaus realistisch, da zum einen die Palette selbstbestimmter Arbeitsformen im Saarland längst nicht so groß ist wie in anderen Bundesländern und wir uns ganz bewußt nicht an eine staatliche Subventionsspritze hängen wollen, die süchtig macht. Etwa eine Woche später, am 12. August, findet das erste direkte Gespräch zwischen Vertretern des AK und dem Wirtschaftsministerium statt. Gastgeber dabei ist der persönliche Referent des Wirtschaftsministers. Das Gespräch verläuft zu unserer allgemeinen Enttäuschung. Obwohl unserem Gesprächspartner ein detaillierter Vergabemodus und entsprechende Förderungsrichtlinien als Diskussionsgrundlage in schriftlicher Form vorgelegen haben, sieht er sich zu keinem Zeitpunkt im Stande, darauf näher einzugehen. Stattdessen verliert sich das Gespräch in der geäußerten Sorge, daß eine Förderung selbstverwalteter Wirtschaftsformen eine Benachteiligung der privaten Wirtschaft darstellen könne. Das Ergebnis des Gesprächs besteht lediglich in der wiederholten Vertröstung auf noch ausstehende politische Entscheidungen, die es erst noch abzuwarten gelte. Dem AK blieb nichts anderes übrig, als an diesem Tage noch einmal seine konkreten Forderungen zu wiederholen, und allen Versuchen, die selbstbestimmten Betriebe in die Ecke der Arbeitslosen- und Beschäftigungsinitiativen zu drängen, entgegen zu treten. Wir machten deutlich, daß es eines unserer Hauptanliegen ist, nur mit dem Wirtschaftsministerium zu verhandeln, da nur dort über eine Wirtschaftsförderung entschieden wird. Am 22. August legt dann die saarländische Ministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Brunhilde Peter, auf einer überregionalen Pressekonferenz in Saarbrücken ein 8-seitiges Thesenpapier vor, das die Grundsätze einer Bundesratsinitiative der SPD-regierten Länder zusammenfaßt, mit der erreicht werden soll, daß "unkonventionelle Beschäftigungsinitiativen" die gleichen Förderungschancen wie kleine mittelständische Betriebe erhalten sollen. Da sich unsere Verhandlungspartner z.T. auch auf dieses Papier berufen, wollen wir an dieser Stelle einige längere Auszüge zitieren: „ ... Besondere Beachtung verdienen dabei "Arbeitsloseninitiativen" und "Alternativ-ökonomische Projekte". ... Außerdem mehren sich insbesondere in der Privatwirtschaft die Versuche von Belegschaften, ihren von der Schließung bedrohten Betrieb in eigener Regio zu übernehmen. Die Versuche c beziehen sich c auch auf eine humanere Arbeitsorganisation, umweltverträgliche und gesellschaftlich nützliche Produkte und Verfahren. Neben diesen Initiativen nimmt auch die Gründung meist kommunaler oder von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden angeleiteten Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaften zu, ... Solche 'unkonventionellen' Beschäftigungsinitiativen bedingen und entwickeln in vielen Fällen neuartige Trägerschaften. Finanzierungsformen und -systeme, Kooperationen und neue, meist genossenschaftsähnliche Arbeitsformen. Sie verbinden insbesondere im Bereich der Selbstverwaltungswirtschaft Beschäftigungsabsichten mit sozialen und ökologischen Zielen, haben ein ganzheitliches Verständnis von Arbeit und Leben, greifen in ihrer lokalen Ausprägung und Begrenzung als Kleingenossenschaft auf die örtlichen Ressourcen und sozialen Hilfsstrukturen zurück, sind dem Gedanken der Selbsthilfe verbunden und entwickeln c eine erhöhte Sensibilität für die am Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen. Die Risiken und Mängel ... liegen vielfach in dem unzureichenden Startkapital, gesetzlichen Hindernissen bei der Auswahl ihrer Unternehmensform, ungenügenden Einarbeitungsmöglichkeiten und mangelnder Qualifikation ihrer Arbeitnehmer und Gesellschafter sowie steuerlichen und abgabenrechtlichen Benachteiligungen. Will man ... (diese Initiativen) ... unterstützen, dann müssen Hemmfaktoren abgebaut und neue Maßnahmen ergriffen werden. Denn außer den wirtschafts- und finanzpolitischen sind auch die arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen nicht auf die Förderung solcher Initiativen ausgerichtet. Daher sind Änderungen sowohl auf der gesetzlichen Ebene des Bundes als auch Maßnahmen auf der Länderebene erforderlich. Die Vorschläge konzentrieren sich insbesondere darauf,
... 2. Einzelmaßnahmen 2.1. auf Bundesebene 1) Änderung des AFÖG: * Rückkehr zu bewährten Leistungsstandards, Leistungsverbesserungen durch Rücknahme der seit 1982 vorgenommenen Kürzungen ..., durch Ausdehnung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, Sicherung eines Mindesteinkommens über die Bundesanstalt und nicht über das Sozialamt, ... * Ausdehnung und beschäftigungspolitische Orientierung des AB-Instrumentariums und des Arbeitslosengeldes durch
3) Änderung des Genossenschaftsrechtes ... in der Weise c, daß es den Bedürfnissen der genossenschaftlichen Kleinbetriebe (Realisierung des Bedarfsdeckungsprinzips, ökologische Orientierung, Schaffung von Arbeitsplätzen) stärker Rechnung trägt; 4) Änderung des EStG und der Abgabenordnung. 5) Förderung im Rahmen des ERP-Vermögens... 2.2. auf Landesebene Dazu gehören: ...
* Förderung von Unternehmen, die von der Belegschaft übernommen werden durch Unterstützung von Beratungsinitiativen ..., * Gewährung von Zuschüssen zur Eigenkapitalbildung solcher Belegschaftsuntemehmen im Rahmen der Finanzkraft des Landes. .... Wer das Papier liest, findet darin sicher eine Vielzahl der Forderungen der SV-Bewegung wieder. Doch unter Beachtung der Mehrheitsverhältnisse in Bonn und der Finanzsituation des Bundes und der Länder wird ersichtlich, daß wir bei unserem Kampf um andere Formen des Arbeitens und Lebens einen langen Atem brauchen - auch einer möglichen Vereinnahmung zu widerstehen. Vor dem gleichen Hintergrund ist eine weitere Station auf unserem Weg zur Durchsetzung unserer primären Forderungen zu sehen: Zum 26. September laden A. Lang, Mitglied der Kommission Genossenschaftswesen beim SPD-Parteivorstand, und P. Springer, Mitglied AK Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft der Landtagsfraktion, die Vertreter des AK - zu einem Öffentlichen "Gedankenaustausch" ein, um den "Beitrag der Genossenschafts- und Selbsthilfebetriebe zur wirtschaftlichen Entwicklung des Saarlandes und zum Abbau der Arbeitslosigkeit" zu diskutieren, ein. Obgleich sich die Lobby des traditionellen Genossenschaftswesens über dieses Hearing beschwert, nehmen \ neben ca. 40 Mitarbeitern der im AK organisierten Betriebe \ auch zwei Vertreter der 'Zentralbank Saarländischer Genossenschaften' als Beobachter teil. Diese führen ais Hemmnisse der Förderung der neuen 'Alternativen' die hergebrachten Einwände an, wie z.B. Probleme bei Haftungsfragen bei Kreditvergabe an kollektiv geführte Betriebe, o.ä. an, sehen eine Kooperation erst durch eine Änderung der rechtlichen Bestimmungen als möglich an und schieben mit derartigen Leerformeln die Verantwortung den Politikern zu. Die SPD-Vertreter, die sich bei ihren Ausführungen großteils auf das oben zitierte Thesenpapier beziehen, sehen Möglichkeiten der Unterstützung - wobei sie eine direkte Finanzierung angesichts der hohen Überschuldung des Saarlandes in Frage stellten - mehr im Bereich der Einrichtung von Bürgschaftsfonds, sowie in der Änderung der Vergaberichtlinien der Öffentlichen Kreditprogramme des Landes: Einer ersten Prüfung ihrer Ausführungen und ihres bisher uns entgegengebrachten 'Interesses' wird sich die SPD im November stellen müssen: Mitte November finden im Landtag die Beratungen zum Entwurf des Etat '86 statt. klaus-peter Arbeitskreis der selbstverwalteten Betriebe im Saarland |
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