BUNDESANWALTSCHAFT (BAW):
WEITERER VORWURF GEMÄSS § 129A FALLEN GELASSEN
Rückzieher der BAW
Schon die bundesweiten Durchsuchungsaktionen
bei linken Projekten am 9. Mai 2007 wurden vom Bundesgerichtshof (BGH) mit
Beschluss vom 20.12.2007 für rechtswidrig erklärt. Um eine weitere peinliche
Niederlage vor dem BGH zu vermeiden, wurde nun durch die Bundesanwaltschaft auch
das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen
Vereinigung gegen Beschuldigte aus Bad Oldesloe, Hamburg und Berlin an die
Staatsanwaltschaft Flensburg abgegeben und wird vermutlich demnächst
eingestellt werden.
Dieter Poschen, Red. Heidelberg - Für die
Betroffenen ein Erfolg, jedoch lässt sich das Rad der Geschichte nicht
zurückdrehen. Sie wurden monatelang observiert und bespitzelt unter
Einbeziehung aller privaten Kontakte.
Die denkbar nebulös gehaltene Begründung, die Auswahl der durchsuchten
Objekte und der gewählte Zeitpunkt zeigen überdeutlich, dass die mit großer
Brutalität durchgeführten Razzien in erster Linie der Einschüchterung,
Ausforschung und Kriminalisierung des sich formierenden Protestes gegen den
G8-Gipfel in Heiligendamm richteten. Inwiefern sich terroristische Vereinigungen
mit Buchhandlungen, Verlagen, Bildarchiven oder soziokulturellen Zentren in
Verbindung bringen lassen, bleibt das Geheimnis der Bundesanwaltschaft.
Der Terrorismusvorwurf dient seit der Einführung des § 129a, im Jahr 1976,
als Vorwand, der den Ermittlungsbehörden, nahezu jedes Mittel der Ausforschung
und Kriminalisierung linker Gruppen ermöglicht. Nur die wenigsten
Ermittlungsverfahren nach § 129a führten jemals überhaupt zu Anklagen. Sie
werden in erster Linie eingeleitet, um der Polizei und der Staatsanwaltschaft
schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte zu ermöglichen, die sich in der
Öffentlichkeit mit dem tatsächlichen Ziel der politischen Einschüchterung und
der Ausforschung legal arbeitender linker Strukturen niemals rechtfertigen
ließen. Eine wichtige politische Forderung ist die Abschaffung dieses
Paragrafen. Nachfolgend die Presserklärung der AnwältInnen zum Rückzieher der
BAW:
"Am 13.6.2007 waren wegen des Verdachts der Bildung einer
terroristischen Vereinigung in einer groß angelegten Razzia elf Gebäude in
Norddeutschland durchsucht worden.
Die BAW hält diesen Vorwurf nicht länger aufrecht. Sie gab das Verfahren
mit Verfügung vom 16. Januar 2008 an die Staatsanwaltschaft Flensburg ab. Von
einer Strafbarkeit der Beschuldigten nach § 129a könne nicht mehr ausgegangen
werden. Es fehle auch an einer besonderen Bedeutung des Falles.
Das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten hatte insbesondere
öffentliche Aufmerksamkeit erregt, weil sogar vertrauliche Telefongespräche
der Beschuldigten mit ihren Verteidigerinnen und Verteidigern und mit
Journalisten abgehört, aufgezeichnet und ausgewertet worden waren. Die
Überwachung einiger Beschuldigter war lückenlos: die Observierung erfolgte
rund um die Uhr, ein mit einem Peilsender zur Ortung versehener PKW wurde
akustisch überwacht, in einer Wohnung wurden Wanzen angebracht und dort sogar
noch Selbstgespräche im Schlaf erfasst.
Dagegen und gegen die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung hatten die
Beschuldigten Beschwerden eingelegt. Die Entscheidungen des zuständigen 3.
Strafsenats über diese Beschwerden standen bevor. Mit der Abgabe des Verfahrens
kam die Generalbundesanwältin Harms nun einer dritten öffentlichkeitswirksamen
Abfuhr durch den BGH zuvor, nachdem sie bereits in den von ihr geführten
Verfahren gegen die sogenannte "Militante Gruppe" und gegen
G8-GegnerInnen durch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofes (BGH) vom
28.11.2007 und 20.12.2007 gezwungen worden war, den Vorwurf der Bildung einer
terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) fallen zu lassen. Zuständig ist ab
jetzt das Landgericht Flensburg, dessen Richter sich vor einer Entscheidung in
die Ermittlungsakte erst werden einlesen müssen.
Die BAW versucht, die bisherige Annahme der eigenen Zuständigkeit mit der
Begründung zu rechtfertigen, erst jetzt im Nachhinein habe sich der Verdacht
eines Anschlags zum G8-Gipfel nicht bestätigt. Dies ist abwegig, denn schon zum
Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchungen am 13.6.2007 lag der G8-Gipfel annähernd
eine Woche zurück. Damals hatte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft noch
betont, ein Zusammenhang mit Protesten gegen den zurückliegenden G8-Gipfel
bestehe nicht. Es fällt auf, dass die Begründungen offenbar nach Bedarf
gewechselt werden".