PRO & CONTRA
Grünen Strom lieber verbrauchen
oder produzieren?
- Ökostromkunden werden getäuscht
Ökostrom gibt es nicht nur in vielen
Varianten, er ist auch grundlegend umstritten. Und das ist gut so, denn das kritische
Hinterfragen gehört zu jeder Aktivität, damit sie nicht betriebsblind zum Selbstzweck
wird, sondern die gewünschten Ziele erreichen kann. Etliche AkteurInnen aus dem Bereich
der regenerativen Energie lehnen Ökostrom zur Zeit ganz ab. Einer der bekanntesten ist
Wolf von Fabeck vom Solarenergie-Förderverein.
Redaktion Umweltschutz von unten - Im Text "Grünen Strom lieber verbrauchen oder
produzieren? Ökostromkunden werden getäuscht" schreibt er in seinem
Solar-Rundbrief: "Am Anfang war die gute Absicht. Viele Menschen sind bedrückt von
der Vorstellung, dass ihr Stromverbrauch zur Belastung der Umwelt, zum Waldsterben und zur
Klimakatastrophe beiträgt. Sie möchten deshalb nur Strom verbrauchen, der diese
Nebenwirkungen nicht hervorruft. Zu diesem Zweck sind sie bereit, "Grünen
Strom" zu kaufen und dafür einige Pfennige mehr zu bezahlen. Das Gegenteil wird
erreicht: Doch diese gutwilligen Menschen geben ihr Geld zumeist vergeblich aus. Schlimmer
noch, sie erreichen durch ihr Opfer sogar das Gegenteil von dem, was sie zu erreichen
hoffen. Sie werden somit getäuscht. Bedauerlicherweise ist diese Täuschung nicht etwa
die Ausnahme, sondern die Regel und sie ist durch die gültigen Gesetze gedeckt. Es gibt
überhaupt nur eine kleine Handvoll Ökostromhändler, die an der grandiosen Täuschung
nicht beteiligt sind (deren Angebote werden hier nicht beurteilt)."
Diese grundlegende Kritik basiert
auf der Annahme, dass es weder unendliche Kräfte noch unendlich viel Geld gibt, um den
regenerativen Energien zum Durchbruch zu verhelfen. Geld, das in teureren Strom gesteckt
wird, würde beim Neubau neuer Energieanlagen fehlen, so Wolf von Fabeck. Er vergleicht
die Situation mit und ohne Ökostrom:
"Variante 1: Was würde geschehen, wenn es keinen Ökostromhandel
gäbe? Der bundesdeutsche Strom-Mix enthält schon seit einiger Zeit (neben dem
Hauptanteil von Braunkohle und Atom) auch etwa 4% Anteile aus alten Wasserkraftwerken, die
im Eigentum der großen Stromversorger stehen, sowie einen zunehmenden Anteil (zur Zeit
etwa 2%) aus privaten Wind-, Biomasse- und Solaranlagen, die ins öffentliche Netz
einspeisen. Bis vor kurzem wurde dieser Strom-Mix ohne Rücksicht auf seine Bestandteile
verkauft. Dabei wurde ein Mischpreis aus den Gestehungskosten für Atomstrom,
Braunkohlestrom, Wasserkraftstrom und sonstigem Ökostrom gebildet und in Rechnung
gestellt.
Variante 2: Was geschieht, wenn es Ökostromhandel gibt? Hier wird den gutwilligen Ökostromkunden
versprochen, sie würden zukünftig nur umweltfreundlichen Wasserkraftstrom oder anderen
Ökostrom erhalten, wenn sie dafür freiwillig ein paar Pfennige Zuschlag zahlen. Der
Stromverkäufer kassiert sodann von den Ökostromkunden einen höheren Strompreis als den
bisherigen Mischpreis. Den übrigen Kunden (denen egal ist, wie ihr Strom erzeugt wurde),
kann der Stromverkäufer zum Ausgleich einen niedrigeren Strompreis für ihren
"Egalstrom" berechnen."
Und Fabeck fügt die Frage an: "Hat der
gutwillige Ökostromkunde diesen Effekt wirklich gewollt? Möchte er wirklich, dass seine
Mehrzahlung den Strom für die Stromverschwender noch billiger macht? Möchte er anderen
die Möglichkeit geben, billiger werdenden Strom noch bedenkenloser zu verschwenden? Dies
war mit Sicherheit nicht seine Absicht! Bis hierher also der desillusionierende Vergleich
zwischen einem Strommarkt ohne Ökostromhandel und einem Strommarkt mit Ökostromhandel."
Fabeck folgert aus seiner Analyse, dass es wichtiger sei, in den Ausbau der Energieanlagen
zu investieren als in den Ökostromverbrauch.
Entgegnung: Ökostrom produzieren UND
verbrauchen!
Per Leserbrief an den Solar-Rundbrief,
abgedruckt auch in den "Ö-Punkten 3/2000" stellt Jörg Bergstedt vom Institut für
Ökologie (Projekt "Ökostrom von unten") Fabecks Analysen in Frage. Allerdings
stimmt er etlichen kritischen Punkten zunächst zu: "Es ist keine Frage: Die
aktuellen Kampagnen für Ökostrom bergen kaum einen politischen Anspruch. An vielen Orten
wird der liberalisierte Markt hochgejubelt - und die VerbraucherInnen werden wieder einmal
zu den Verantwortlichen für die Rettung der Umwelt gemacht, während die Konzerne weiter
per Atom- und Kohletechnik selbige ruinieren dürfen. Ein solcher Blickwinkel erinnert
frappierend an die Mülltrenn-Kampagnen ("Joghurtdeckel abwaschen und zur
Alusammelstelle bringen rettet die Umwelt") vor zehn oder 20 Jahren. Falsch waren die
auch damals. Denn Umweltschutz kann nicht losgelöst von den realen Machtverhältnissen
und von der Analyse der Zerstörungsursachen und -verursacher umgesetzt werden. Doch die
Hoffnung, dass diese Fehler endlich einmal überwunden werden, scheint durch die aktuelle
Ökostromwerbung leider eher enttäuscht zu werden. Die von Ökostromanbietern bis zu
Anti-Atom-Gruppen suggerierte Möglichkeiten, durch das Umstellen auf Ökostrom im eigenen
Haus könne der Atomausstieg erreicht werden, ist unverständlich, falsch und insofern schädlich,
weil sie irreführend vielen Menschen genau dieses als entscheidende Maßnahme gegen
Atomstrom und Klimazerstörung nahelegt. Das kann andere Aktivitäten verhindern! Noch
schlimmer sind die Ökostromangebote von Stromkonzernen, die ihren ohnehin vorhandenen Ökostromanteil
im Mischstrom nur "abspalten", um ihn dann als Ökostrom teurer zu verkaufen.
Das bringt gar nichts, weil der übrigbleibende Strom nur noch dreckiger wird, aber
insgesamt keine Kilowattstunde Atomstrom verdrängt wird."
Dennoch sei die generelle Kritik am Ökostrom
falsch. Denn es gebe nicht "den" Ökostrom, sondern inzwischen viele
verschiedene. Zudem seien Veränderungen möglich - und nötig: "Meines Erachtens
geht es nicht darum, zum Ökostrom "Ja" oder "Nein" zu sagen bzw. ihn
als entscheidende Anti-Atom-Aktion hochzujubeln, sondern es geht darum, eine Form des Ökostroms
zu finden, die den ökologischen und gesellschaftlichen Zielen, die damit verbunden sind,
nahe kommt - und gleichzeitig die Werbung für den Ökostrom zu verbinden mit den
weiterhin nötigen Aktivitäten für den Schutz der Umwelt, die Selbstbestimmung der
Menschen und das Ende der Atomenergie. Daran mangelt es bei den bestehenden Ökostromkampagnen
- aber das ist kein Beweis dafür, dass es nicht ginge.
Ganz im Gegenteil:
1. Die Umstellung auf Ökostrom kann
erhebliche Finanzmittel für neue regenerative Energieanlagen (Wind, Wasser, Sonne,
Biomasse) freisetzen. Insofern stimmt das Argument "Entweder Geld für neue Anlagen
oder für Ökostrom" nicht. Nötig dafür ist aber, dass die Einnahmen für den Ökostrom
für neue Energieanlagen ausgegeben werden.
2. Ökostrom kann, statt den liberalisierten
Markt zu beschwören, ein kleines Stück der notwendigen Veränderung von Machtverhältnissen
sein - nämlich dann, wenn Produktion und Verbrauch von Strom dezentral entschieden
werden.
3. Insofern enthält auch der Ruf nach mehr
Neuanlagen und der Jubel über das Energieeinspeisegesetz viele Verkürzungen, verlässt
er sich doch ausschließlich auf politische Rahmenbedingungen und das Gute in herrschenden
PolitikerInnen. Das aber ist, so lehrt die Geschichte, noch nie gut gegangen. Deshalb muss
mit dem Neubau von regenerativen Energieanlagen auch die Machtfrage gestellt werden: Nicht
nur "Wie wird der Strom erzeugt?", sondern auch "Wer erzeugt ihn?".
Gefragt sind BürgerInnen-Energieanlagen, Versorgungsnetze, die den Menschen selbst gehören
und von ihnen verwaltet werden, sowie VerbraucherInnengemeinschaften, die den Bezug von Ökostrom
gemeinsam und selbst organisieren."
Als Fazit wird dann benannt: "Weder die
platte Formel "Ökostrom macht den Atomausstieg" noch die ebenso platte Losung
"Mehr regenerative Energieanlagen - egal wo und von wem" halten einer Analyse
der Gründe von Umweltzerstörung und Ausbeutung stand. Atomenergie ist nicht nur die
Folge des Wunsches nach billigem Strom, sondern von Machtstrukturen, die die Durchsetzung
von Großkraftwerken ebenso erst ermöglichen wie von Gentechnik, Flughäfen, Autobahnen
oder weltweiten Ausbeutungsstrukturen. Sie zu knacken, ist schwer genug. Aber so zu tun,
als wären diese Gründe nicht vorhanden, ist blauäugig. Für die Durchsetzung der
Gentechnik ist z.B. völlig uninteressant, ob die Mehrheit der Menschen das überhaupt
will oder ob sich viele für bewusste, gentechnikfreie Ernährung entscheiden."