Nürnberg:
Kommunale Knete für 23 Projekte
Endlich! Nach einjährigem Tauziehen, nach
zahllosen, hitzigen NETZWERK- Debatten und 34 nervenaufreibenden
Vollversammlungen eines Verbundes der alternativen Projekte und autonomen
Frauenprojekte winkt die Kohle der Stadt. Eine halbe Million hatte der
städtische Haushalt für die kommenden drei Jahre pro Haushaltsjahr festgelegt
(mit einem jährlichen Inflationsausgleich von bis zu 5%. Fast 470 Tsd. DM
konnten mittlerweile im ersten Anlauf der Projekte und ihrer Lobbyisten verteilt
werden. Ein Drittel der Gelder, genau 166.666,66 DM, gingen über ein autonomes
Frauenplenum an sieben feministische Projekte. Die restlichen, bisher
ausgeschütteten, 300 Tsd. DM teilten sich Alternativprojekte im Medienbereich,
von der FRAZ (fränkischer TAZ Ableger) über Schüler- und Elternzeitungen bis
zu Medieninis, und andere, höchst unterschiedliche Initiativen, von den
Ökologen bis zur Schwulengruppe Fliederlich, von der Krabbelstube bis zur
Freien Schule, vom Tagungshaus "01af-Ritzmann-Kollektiv" bis zum
Wissenschaftsladen. Aber der lange Weg zu den Geldern der Stadt war mit
Fallstricken und Hindernissen versehen. Außerdem, wer blieb auf der Strecke?
Die umstrittene Nürnberger Indianerkommune war (natürlich?) schon im Vorfeld
der langwierigen Verhandlungen mit der Stadt auf massive Ablehnung gestoßen und
fordert nun ihrerseits Solidarität. Und bis zur Stunde ist noch unklar, ob
Stadtkämmerer Schmitz, wie früher schon in einem ähnlichen Fall, statt den
Geldbriefträger nicht eher die Bagger zum Bunten Haus schickt. Das dort
geplante Kulturzentrum paßt der SPD nicht in den Kram. Das Haus soll von der
Stadt verscherbelt werden — Abriß droht.
DAS NÜRNBERGER VERGABEMODELL
Ein besonderes Vergabemodell der "Staatsknete a la Nürnberg" war
im vergangenen Jahr von NETZWERK und interessierten Projekten im Zuge der
Haushaltsberatungen (Bündnis SPD/Grüne) ausgepokert worden. Kompetente
Empfehlungen zur Festlegung von Vergabekriterien und zur Förderung gab ein
städtischer Beirat, der von Projektvertretern dominiert war. Natürlich hatten
der Stadtrat und sein Kulturausschuß das letzte Wort. Aber was dort zur
Abstimmung anstand, hatten die Projekte untereinander im Vorfeld zu klären. Der
Projekteverband grümdete sich hierfür und tagte in Gesamt-VV und Frauenplenum,
wählte vom Stadtrat 5 zu bestätigende Projektevertreter in den neunköpfigen
Beirat und entwickelte in mehrtägigem Sitzungsmarathon einen
Verteilungsschlüssel, den der Beirat Beirat seinerseits der Stadt gegenüber
vertreten sollte.
"Institutionalisierung eines Projektclinchs", meinten die Kritiker
dieser Regelung und verwiesen darauf, daß separat beantragte Projektförderung
an andere Referate der Stadt nunmehr unter Verweis auf den Alternativtopf
weniger Chancen hatten. Wie wahr: Sofort nach Installation des Topfes zu
Jahresbeginn begann die Projektverschickerei. In der Schlange der
"Neuankömmlinge" stand sogar ein Projekt, das die Nachbarstadt Fürth
"mit freundlichen Grüßen". empfahl (und das bei der
"Erbfeindschaft" zwischen Nürnbergern und Fürthern). Da hatten es
die Erlanger schon besser, denen prompt ein ähnlicher Topf in gleicher Höhe
reserviert wurde.
"Besser im Clinch miteinander als im offenen Streit vor der Stadt",
meinten die Befürworter des Beiratsmodells und hofften, daß allein chancenlose
Gruppen von besser angesehenen in die Förderung "mitgezogen" werden,
wo en bloc verteilt wird. Optimisten sahen im Diskussionsprozeß der Projekte
eher die Möglichkeit zu ihrer politischen Vernetzung, zur Selbstgestaltung
eines "alternativen Raums". Die Wirklichkeit hingegen war dann eher
ernüchternd.
ALTERNATIVTOPFALLTAG IN NÜRNBERG
Alternativtopfalltag in Nürnberg, das war im wesentlichen die
zweiwöchentlich tagende Projektvollversammlung, "der Alternativtopf"
im Szenemund genannt. Was hatte diese Vollversammlung nicht alles zu ertragen,
bevor erste Ergebnisse herauskamen:
Da war zunächst einmal der Auszug der Frauenprojekte, weil sie nach
VV-Willen im Beirat lediglich die Hälfte der Vertreter stellen SOLLTE
(Satzungsvorschlag), und nicht MUSSTE. Daß die Stadt jenen Satzungspassus
einfach strich und Frauen schließlich in jenem erlauchten Gremium gar
Zweidrittelmehrheit HATTEN (weil so viele herein gewählt WURDEN), war dann
schon längst egal. Einigung gab es erst bei einem Topfdrittel, daß das
Frauenplenum dann relativ streßfrei unter die Schwestern brachte. In der Folge
war etlichen der Frauenprojekte die Gesamtentwicklung wurscht. Die Gesamt-VV
wurde zum "Restplenum".
Da war fernerhin jener mühevolle Prozeß, arbeitsfähige, aber gleichzeitig
basisdemokratische Strukturen zu schaffen. Und gleichzeitig der ständig
wachsende Terminstreß, gerade auch nach erfolgreicher Beiratswahl und Satzungsverabschiedung.
Der Topf wäre nie vor der Sommerpause anzuzapfen gewesen, wenn die VV nicht
sehr bald über "Mauschelstrukturen" hinaus Tritt gefaßt hätte,
nicht äußerst subito Förderungskriterien vorgeschlagen hätte, nicht im
Schnelllauf einen Verteilungsplan vorgestellt hätte etc. Die VV wurde so zum
Wurmfortsatz der präzise, aber träge arbeitenden Verwaltungsmachinerie, deren
Auflagen und Termingebungen nur zu oft wichtige Diskussionen verbaten.
Da war deshalb exakt 15, höchstens 20 Minuten Zeit für jedes Projekt, sich
vorzustellen. Und das bei der wichtigen Diskussion, bei der eigene, die
Alternativ-Kriterien anzulegen waren, um herauszufinden, wer eigentlich
dazugehört.
Da gab es Brüllereien und Reibereien. Zuerst um die Frage der Solidarität
(jeder will sie, keiner hat sie). Dann um den Verteilungsplan, der in
nächtelangen Mammuttagungen regelrecht ausgekartelt wurde, weil der alternative
Finanzbedarf die Möglichkeiten des Topfes natürlich um ein Vielfaches
überstieg. Nicht die VV sollte kürzen, sondern das jeweilige Projekt, das sein
"Existenzminimum" kennt. Nach kräftezehrender Sitzungsperiode blieben
dann immer noch 10% Unterdeckung. Also faßte die VV doch noch einen "Rasenmäherbeschluß",
der alle Projekte gieichmäßig zurecht stutzte.
ÜBERHAUPT DIE SOLIDARITÄT
Sie war zunächst das projektverbindende Zauberwort und wurde danach zum
Zankapfel und Streitpunkt, bis feststand: Solidarität soll heißen, daß die
Projekte für von der Stadt abgelehnte Anträge, hinter denen die VV aber steht,
eine größtmögliche Drittmittelfinanzierung erreichen. Im Idealfall der Höhe,
die auch die VV der Stadt empfohlen hatte.
Nur zu bald stellte sich jedoch heraus, daß vor der materiellen die
inhaltliche Solidarität stehen muß, wo sie mehr als ein leeres Wort sein soll.
Pünktlich zum ersten entscheidenden Beiratstermin erschien nämlich jener
unvermeidliche (?) Presseartikel, wo Volkes Mund die Verschleuderung von
Steuergeldern an "Schwulis, Hausbesetzer und Stadtindianer" verdammte.
Das Klima war über Nacht vergiftet - der Topf drohte umzukippen und von einem
Mittel zur sozialen Aufwertung alternativer Projekte zu einem Mittel ihrer
Abwertung zu werden.
Eine konzertierte Aktion von Projekten, NETZWERK, Beirat, Verwaltung und
wohlmeinenden Stadträten konnte zwar den Beginn einer regelrechten
Pressekampagne stoppen, spätere Good-Will Artikel den übelsten Eindruck
lindern, aber die alternative Unschuld der Projekte war dahin.
Denn das "öffentliche Urteil" konzentrierte sich nunmehr auf das
schwächste Kettenglied im Projektverbund, die Indianerkommune. Unschwer waren
hier deutliche soziale Ausgrenzungsversuche auszumachen, wobei es unerheblich
blieb, inwieweit dieses Projekt sich selber ausgrenzt oder ausgegrenzt wird. Vor
dem Hintergrund der "Kinder-Sex"-Pressekampagnen und äußerst böser
Worte seitens der Gesprächspartner in Parteien, Beirat und Verwaltung hatte die
VV die Indianer immer wieder zu diskutieren. Der "Solidaritätsfall"
wurde beschlossen und zur Vermeidung weiterer Eskalation der Indianerantrag
zurück gezogen.
Dabei zeigten die langwierigen Indianerdiskussionen, daß Solidarität keine
Einbahnstraße sein kann. Die Indianerkommune mußte sich auch auf der VV der
Projekte Kritik gefallen lassen. Einzelne Stimmen warnen sogar lautstark vor
ihrer Unterstützung - wieder andere wollen zumindest Päderasteninteressen von
Kinderschutzanliegen getrennt wissen. Und die Indianer reagierten auf ihre
Weise: renitent.
Daß trotzdem, unterbrochen vom üblichen Indianerhappening und begleitet vom
dumpf klatschenden Geräusch zerplatzender Ballons mit Wasser, nebenstehender
Solidaritätsaufruf verabschiedet wurde, haben die Indianer vor allem folgendem
Umstand zu verdanken: Kein Projekt wünscht die von Parteien und Verwaltung
nahegelegte Aufspaltung in "gute" und "böse" Projekte. Die
Notwendigkeit eines Projekts für Ausreißer scheint einleuchtend. Die Indianer
werden genau die Solidarität kriegen, die sie verdienen. Was das ist, kann sich
nur durch ihre Fähigkeit erweisen, sich Diskussionen mit anderen Alternativprojekten
zu stellen.
DAS ERGEBNIS
Das Ergebnis des Nürnberger Alternativtopfes ist noch wesentlich eingehender
zu analysieren und zu bewerten. Der Projektverbund hat sich auf den kommenden
Versammlungen ausführliche Diskussionen vorgenommen.
Zur näheren Information der staunenden bundesrepublikanischen
Öffentlichkeit ist eine Dokumentation in Vorbereitung, die nebst Dokumenten und
Pressespiegel auch erste, sicherlich konträre Stellungnahmen der Projekte
enthält.
Erhältlich bei NETZWERK FRANKEN/Projektberatungsgruppe, Hochstr. 23, Rgb, 85
Nürnberg, Tel 0911/289658
Kurt Regenauer