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HAUSRECHT ABSCHAFFEN STATT ÜBERNEHMEN
Freiräume überall!
Nur ein kleiner Teil alternativer Projekte
scheitert am Konflikt mit dem Staat. Die meisten scheitern an sich selbst. Das
hat zwar viel mit der Zurichtung der Menschen zu tun, durch die Mackerigkeit,
Dominanzgehabe oder Unterwürfigkeit, der Hang zur Akzeptanz geltender Gesetze
und Normen sowie die Ängste vor der Übermacht von Repression, sozialem Umfeld
oder dem blanken Kampf ums materielle Überleben in jedes Projekt geschleppt
werden. Allerdings fehlt meist auch ein kreativer Umgang damit. Der Wille, alles
anders und besser zu machen plus einem gemeinsamen Trägerverein, wo "doch
der Vorstand nur formal da ist", reicht den meisten schon.
Jörg Bergstedt, Red. Umweltschutz von Unten -
Viele fangen schon schwach an und reden mit großen Worten über ihr autonomes
Zentrum, was bei näherem Hinsehen eine städtische Einrichtung ist, wo nur der
Jugendpfleger ein bisschen kumpeliger drauf ist. Wenn doch mal mehr Freiheit erkämpft
werden kann, verregeln die BewohnerInnen oder NutzerInnen ihr Haus gleich oder
nach einiger Zeit Stück für Stück selbst: Schlüsselgewalt für die Räume,
Passwörter an den Computern, säuberlich getrenntes Eigentum ... die ChefInnen
und AufpasserInnen haben gewechselt. Sie tragen jetzt schwarz anstatt Krawatte
oder grüne Uniform. Im Großen und Ganzen ist die Idee gesellschaftlicher Veränderung
durch das Ankaufen, Besetzen oder sonst wie gestaltete "Erobern" von Räumen
gescheitert. Freiräume, d.h. Orte ohne Ausgrenzung, Hausrecht, Kontrolle und
Beschränkungen, solche der horizontalen Begegnung von Menschen sind kaum
entstanden.
Die Idee von Freiräumen aber ist als ein Ausgangspunkt gesellschaftlicher
"Gegenwelt" von großer Bedeutung. Experimentierflächen für
Horizontalität können in Gebäuden und auf Plätzen entstehen, die
gleichzeitig Ausgangspunkt sind für Intervention in den grauen Alltag von
allgegenwärtiger Herrschaft und Verwertung. Neben eigenen Interessen,
ideologischen Ausgrenzungen usw. steht der Idee eines Freiraumes aber schlicht
die Angst entgegen: Was geschieht, wenn Kontrolle ganz wegfällt? Wird dann
einfach alles geklaut oder treffen sich übermorgen die Faschos hier? Wie können
wir das alles finanzieren? Diese Ängste sind verständlich, aber das Beharren
auf Kontrolle dennoch die falsche Antwort. Denn wer die Logiken dieser
Gesellschaft überwinden will, kann sie nicht anwenden. Zumindest nicht nach
innen, also dort, wo neue Experimente entstehen sollen mit ihren ganzen
Auseinandersetzungen um den immerwährenden Versuch, dass weniger Falsche im
Falschen zu organisieren. Es kommt bei der Idee von Freiräumen gerade darauf
an, auch die Konflikte und Probleme horizontal anzugehen. Horizontalität ist
keine Schönwetteridee, die beim erstbesten Stress eingemottet wird. Dann hat
sie nie bestanden. Spannend sind Räume, die tatsächlich garantiert offen sind,
also auch für die Menschen, die andere dort nicht haben wollen. Dann kommt es
darauf an, den Umgang und den Streit zu organisieren statt zentral oder gar von
oben zu entscheiden, was den Konflikt ja nicht löst, sondern nur aus dem Raum
herausverlagert - und zudem autoritäre Strukturen wieder einführt, die dann für
alles Mögliche genutzt werden können.
Freiräume leben von:
| Unabhängigkeit, d.h. sie sind nicht von externen Geldgebern,
Hausrechtsinhabern oder sonstigen Vorständen, Kontrollgremien u.ä. abhängen.
Der Raum ist offen. Es gibt keine Verpflichtungen, denen die AkteurInnen
unterworfen sind. |
| den AkteurInnen, die einzig die im Freiraum Handelnden sind. Sie
entscheiden selbst und regeln die Formen ihres Streites, wobei
Sieg-Niederlage-orientierte Kämpfe zumindest formal ausgeschlossen sind,
weil es ja keine rechtliche Handhabe für Rauswürfe, Ausgrenzungen und
Beschränkungen gibt. |
| Alles im Freiraum ist offen und gleichberechtigt zugänglich. Es gibt
keine verschlossenen Räume, Arbeitsmaterialien, keine Passwörter usw.
Optimal wäre eine Zugänglichkeit rund um die Uhr. Je mehr in diese
Richtung verwirklicht werden kann, desto besser. |
| Ein Freiraum fällt keine Entscheidung, niemand kann für ihn reden. Er
ist einfach da, offen für alle. Jede Entscheidung würde ihn einschränken,
da sie etwas ausgrenzt, eine Grenze zieht zwischen "gehört dazu"
und "gehört nicht dazu". Auch die Vertretung nach außen oder
eine politische Position, der Name unter einem politischen Aufruf u.ä.
widerspricht der Idee des Freiraumes, weil es Menschen nicht mehr horizontal
anspricht. Wer der Position entspricht, scheint mehr erwünscht, der andere
weniger. Allein schon der Eindruck nach außen, dass es so sein könnte, gefährdet
den Freiraum als horizontale und offene Struktur. Daher ist wichtig, dieses
Fehlen kollektiver Entscheidungen und Kontrolle offensiv zu zeigen. |
| Genauso wichtig wie das Fehlen von Entscheidungen ist der komplette
Verzicht auf kollektive Identität. Der Freiraum ist ein Raum. Er agiert
nicht, er spricht nicht, er ist kein "Wir". Im Freiraum können
sich unendliche viele "Wir"-Identitäten, z.B. politische Gruppen,
Familien, Vereine, Cliquen, Bands, Projekte usw. bewegen - immer horizontal
nebeneinander und ebenso neben denen, die auf kollektive Identitäten
verzichten und als Einzelpersonen oder in ständig wechselnden Kooperationen
agieren. |
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10 |