ENDE DER PRIVATSPHÄRE ?
Datenkraken auf der Lauer
Demo "Freiheit statt
Angst"
Foto: patrickschulze
Ein Handy ist erst dann abhörsicher, wenn es
nicht bloß abgeschaltet wurde, sondern erst, wenn der Akku rausgenommen wurde.
Aber Vorsicht - auch das kann bei Staatsschnüfflern Verdacht erregen. Im Zuge
der G8-Ermittlungen gegen eine "militante Gruppe" jedenfalls ist schon
das Nicht-Mitnehmen des Handys als verdachtserregend aufgeführt worden.
von Ariane Dettloff, Redaktion Köln - Nur einer
von vielen Kollateralschäden an der "Heimatfront". Rolf Gössner
analysiert in seinem Buch über die Menschenrechte in Zeiten des Terrors, wie
der Weg zum Totalschaden an der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausgebaut
wird. "Verfassungsfeinde im Schafspelz" nennt der Autor die Politiker,
die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aushöhlen. Und der Bremer
Rechtsanwalt Eberhard Schultz sieht die größte Bedrohung unserer Demokratie
nicht von Terroristen und auch nicht von Neonazis ausgehen, sondern vom
"präventiven Sicherheitsstaat ". Mit vier Millionen überwachten
Telefonen habe sich die Bundesrepublik sogar an die Weltspitze gesetzt.
Auch wenn viele sich immer noch gern gefahrverdrängend damit zu beruhigen
suchen, sie hätten "doch nichts zu verbergen", ist es höchste Zeit,
sich zur Wehr zu setzen. Auch besonders harmlose BürgerInnen passen ins
Terror-Raster. Wirkliche Terroristen aber werden damit kaum ertappt. In den
Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo die staatliche
Überwachungsmaschinerie schon weiter fortgeschritten ist als hierzulande, sind
jedenfalls kaum "Treffer" zu verzeichnen. Kosten und Nutzen des
Grundrechteschleifens stehen in keinem zumutbaren Verhältnis. Die regierende
Große Koalition aber krakt immer weiter. Die zentrale Steuernummer, die jetzt
eingeführt wird, eröffnet Datenmissbrauchsmöglichkeiten großen Stils. Ein
Widerstand wie der Volkszählungsboykott ist allerdings nicht in Sicht.
Doch nicht nur Staatsschnüffler betätigen sich eifrig - auch die
Profitinteressen privater wie semiprivater Unternehmen höhlen den Datenschutz
systematisch aus - siehe die Schwarze Liste des Datenschutzvereins und die
Informationen des FoeBuD, eines unabhängigen, kritischen, kreativen Vereins in
Bielefeld, der sich mit dem Themenkomplex Neue Medien und Gesellschaft
auseinandersetzt und unter anderem jährlich die Big Brother Awards vergibt,
satirische Preise für die dicksten Datenkraken.
Ob am Telefon oder PC, beim Arzt oder im Interview mit Journalisten, im
Kaufhaus,, am Arbeitsplatz oder in der Wahlkabine, bei Flug- oder Bahnreisen und
im Hotel - überall sind wir umlauert. Niemand von uns kann mehr wissen, was wer
wann und wie lange über ihn oder sie speichert, an wen dies Wissen
weitergereicht oder in wessen Interesse dann weiter ausgespäht wird. Und es
gibt kein Vergessen. Das Internet weiß mehr über uns als wir selbst, und was
dort je verzeichnet wurde, bleibt unkontrollierbar für alle Zeiten an uns
hängen. Ein ungemütliches Gefühl, das auch in Angst umschlagen kann. Es kann
dazu kommen, dass politische Initiativen ersticken, dass Selbstorganisation
blockiert wird.
Unser Schwerpunktthema soll dennoch keine Schwermut aufkommen lassen - er
bringt auch viele Beispiele für kreative Gegenwehr. Dazu zählen die jährlich
verliehenen "Big Brother Awards", pfiffige technische Hilfsmittel wie
ein "Privacy Dongle", mit dem PC-Schnüffler ausgesperrt werden
können, oder Alu-Hüllen für elektronische Pässe, Demonstrationen gegen den
"Spannerstaat" und die "größte Verfassungsklage aller
Zeiten".
Mehr als 15.000 BürgerInnen klagen gegen die vom bundesdeutschen Parlament
beschlossene Vorratsdatenspeicherung. Ausgerechnet am 9. November haben die
VolksvertreterInnen das "Gesetz zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen
sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" verabschiedet und damit den
Ausspähungsstaat weit vorangebracht. Zweifellos ein großer Schritt fort von
moderner Rechtsstaatlichkeit - das Bürgerrechts-Fachblatt "Cilip"
befürchtet gar die Wiederkehr der mittelalterlichen Vogelfreiheit. Gewarnt
seien auch diejenigen, denen vermeintlich "nichts vorzuwerfen" ist: es
gibt auch die "Kontaktschuld ". Ausgespäht wird ebenfalls, wer mit
"Verdächtigen " zu tun hat. Und wer einmal in eine "Terrorliste
" gerät, wird es schwer haben, daraus wieder gestrichen zu werden - falls
mensch überhaupt davon erfährt.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10