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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

Aus CONTRASTE Nr. 177:

DIE KOMMUNE-INFO-TOUR BESUCHTE SIEBEN STÄDTE

"Cool, daß ihr mit euren Erfahrungen in Sachen Kommune mal rüberkommt!"

Ein Bericht von Leh von den Zorrows. Fotos von Ele Poschmann.

Infotur1.jpg (36118 Byte)Die Vision einer sich befreienden Gesellschaft und der Wunsch gemeinsam zu leben, kollektiv zu arbeiten und politisch zu handeln sind eng aufeinander bezogen. Und genauso wie auf der Weltbühne die Themen von Befreiung, Emanzipation und Revolution seit zehn Jahren scheinbar in den Orkus der Geschichte gefallen sind, so hat auf der lokalen Ebene auch das Netz der politisch ausgerichteten Kommunebewegung mit Stagnation und Nachwuchssorgen zu kämpfen. Es ist eben nicht ausgemacht, ob der Aufbau und die Pflege widerstandsfähiger Plätze, ob gemeinsames Wirtschaften und ob persönliche Emanzipation (in Richtung auf Würde und Gleiche Rechte für alle) letztlich die Oberhand behalten, oder ob die "Ich-will-einfach-nur-Spaß"-Mentalität den politischen Diskurs und das öffentliche Leben versauen.

Meine Erwartungen wurden übertroffen

In diesem Sinne war es hochgradig spannend zu beobachten, welch reges Interesse unsere kleine Rundreise vom 26. Februar bis 6.März 1999 durch den Nordwesten dieser Republik bei den dortigen Linken und Jugendgruppen gefunden hat. Zwischen dreißig und sechzig Leute pro Abend haben unsere sieben Veranstaltungen in Göttingen, Hannover, Bielefeld, Münster, Hagen, Bochum und Oberhausen besucht. Insgesamt rund 300 Menschen im Alter von sechszehn bis sechzig Jahren, denen anscheinend die konkrete Utopie der Kommune noch nicht abhanden gekommen ist. Meine Erwartungen an die Tour sind jedenfalls mehr als übertroffen worden. Ich bin angeregt worden von der Neugier und der Gesprächsbereitschaft der BesucherInnen und habe das Gefühl, mit meinem Lebensprojekt auf Interesse gestoßen zu sein. Was kann man mehr von einer Infotour verlangen!? Ein paar Eindrücke sollen diesen Gesamteindruck jetzt etwas illustrieren:

Das KommuneBuch ist ein Renner

Die bestbesuchteste Veranstaltung der Tour war die in Göttingen. Im eigentlichen Sinne lag sie noch vor der Tour, da es im Buchladen Rote Straße um die Vorstellung der gerade erschienenen zweiten Auflage des Kommunebuches ging. Der Werkstatt Verlag hatte zusammen mit dem Buchladenkollektiv diese Veranstaltung vorbereitet und als Enno vom Verlag den Leseabend eröffnete, drängten sich an die sechzig Personen in dem Laden, auf Stühlen und zum Teil mit kleinen Kindern am Boden sitzend. Das Kommunebuch hat sich mittlerweile zum Renner des Verlages in der Abteilung: politische Literatur entwickelt, was von niemandem so vorhergesehen worden war. Der Abend mit Lesungen aus unserem Buch und Gesprächsrunden konzentrierte sich auf die Themen Alternative Ökonomie / Arbeitsverhältnisse, streifte den Geschlechterverhältnisse-Diskurs und endete bei Fragen und Perspektiven antirassistischer Praxis in Kommunen und Kollektiven. Letzteres Thema war von einiger Brisanz, da in der Woche zuvor in Göttingen ein Tamile auf offener Straße ermordet worden war und deshalb am nächsten Tag in Göttingen eine Protestdemonstration stattfinden sollte. Die Veranstaltung im Buchladen hatte für mich eine sehr dichte Atmosphäre, was ausdrücklich dem interessierten und diskutierfreudigen Publikum gedankt werden muß.

Der Auftakt

Infotur2.jpg (50845 Byte)In der Kommune Niederkaufungen begann am 27. Februar unsere Tour in Form der Reisevorbereitungen sowie dem Packen und Zusammenstellen des umfangreichen "Equipments" aus Diaprojektoren, Stelltafeln, Plakatwänden, Büchern und Broschüren, die wir als Werbe- und Anschauungsmaterial mitgenommen haben. Nicht zu vergessen unser "Roadmobil", ein alter umgebauter Reisebus, der vom Reinighof für die Tour ausgeliehen werden konnte. In diesem Bus hatte unsere kleine Reisegesellschaft vollständig und ausreichend Platz: Ele aus Niederkaufungen, Anna und Uwe von der Finkenburg bei Bremen, Hong vom Reinighof im Pfälzer Wald, Uwe vom Olgashof bei Wismar und Leh vom Wohnprojekt Zorrow aus Berlin.

Premiere in der Korn

Infotur4.jpg (76907 Byte)Erste Station war am 28. Februar die Kornstraße in Hannover. Mit einem grandiosen, überaus üppigen Abendessen wurden wir von den Veranstaltern empfangen. So läßt sich die Reise genießen und macht die Anstrengungen einer kompakten Tournee durchaus erträglich. Wir waren entsprechend motiviert und vorbereitet für unsere Premiere. Der Einstieg einer jeden Abendveranstaltung bildete ein Stegreif-Sketch, der locker und dennoch politisch überlegt die Ansprüche, Programme und Visionen linksradikalen Daseins auf ihre Haltbarkeitsdauer in den alltäglichen Zwängen des Lebens karikierend darstellen wollte. Unsere Empfehlung am Ende hieß: Kommune zu wagen. Und wer diesen Satz so nicht mitsprechen wollte, hatte ja im Verlauf des Abends Gelegenheit, Einwände und Bedenken, natürlich auch Anregungen und eigene Erfahrungen zum Besten zu geben. Am Ende des Abends in Hannover zeichnete das freie Radio Flora noch ein Interview mit dreien von uns auf für einen geplanten Themenschwerpunkt: Kommune. Sendetermin voraussichtlich Ende April.

Die Kommune und der Doppelpaß 

In Bielefeld gastierten wir im Parlando, einem kleinen aber feinen Kultur-Cafe mit Restaurationsbetrieb und angeschlossener libertärer Bücherei. Auch hier wartete das lokale Radio schon auf uns, nachdem unser Bühnenaufbau installiert war. (Übrigens: Aller Auf- und Abbau abend für abend war selbstgemacht, ohne Hilfe von Roadies.) In Bielefeld hatten wir gewichtige politische Konkurrenz in Form einer "Doppel-Paß"-Veranstaltung am gleichen Tag, zum sogenannten neuen StaatsbürgerInnen-Recht. Solche Überschneidungen sind bei langfristiger Tourplanung leider nicht zu vermeiden. Dennoch füllten gut fünfzig Leute den kleinen Cafe-Raum und bekundeten ihr Interesse am Thema. Und es gab sogar Leute, die uns nachgereist sind, um den Abend nachzuholen, den sie wegen der Doppelpaßveranstaltung in Bielefeld versäumen mußten.

Kontakte pflegen am Ruhetag 

Zwischen den Stationen in Münster (Veranstaltung am 2.März in der ESG) und in Hagen (dort gastierten wir am 4.März im Kulturzentrum Pelmkeschule) lag eine vorgesehene Ruhepause von eineinhalb Tagen. Uwe vom Olgashof hat uns dann in diesem break leider gleich ganz verlassen, da er wegen anderer Verpflichtungen nach Hause mußte. Schade für ihn und für uns fünf verbleibende TouristInnen, aber scheinbar war sein Entschluß nicht mehr veränderbar. Unsere Erholungspause ging einher mit Gesprächen und Begegnungen in zwei uns zum Teil bekannten Gruppen: Die Lärifari-Kommune bei Münster gab uns für einen Tag und zwei Nächte Quartier (Dank euch allen für diesen Tour-Support) und der Lebensgemeinschaft Beringhof bei Wickede statteten wir einen nachmittaglichen Kurzbesuch ab auf unserer Fahrt nach Hagen. Hier luden uns Lore, Annegret, Juci und Uli zum Mittagessen ein und nahmen sich danach Zeit, uns die aktuelle Situation des Beringhofes nach dem Weggang von Gerhard und Renate Breidenstein zu erläutern.

Spiritualität und Kampf 

Uli, Annegret und Juci kamen zu unserer Freude noch am Abend zu unserer Veranstaltung nach Hagen. An diesem Abend wurde (das einzige Mal auf der Infotour!) im Anschluß an Sketch, Referat und Diashow in einer ungeteilten großen Runde diskutiert. Üblich waren sonst zwei bis drei kleinere Gesprächsrunden nach der Pause. Für mich war dabei am anregendsten, wie das Gespräch nicht nur an den auch sonst abgefragten Themen der Gruppensituation, der gemeinsamen Ökonomie oder der Organisierung der Kollektivbetriebe stehenblieb, sondern durch die Anwesenheit der BeringhöferInnen die Frage nach dem Verhältnis von Spiritualität und Kampf in Gemeinschaften, Gruppen und Kommunen eine Rolle spielte. Es zeigte sich für mich, daß im Grunde viel öfter, gerade auch im politisch orientierten Kommunenspektrum, der öffentliche Erfahrungsaustausch über dieses Thema passieren sollte. Zu viele Verstehensbarrieren, unterschiedlich gebrauchte Begriffe (was verstehe ich unter Esoterik? was unter Meditation und was unter Suche nach heilenden Wegen?) harren für mein Empfinden der Klärung und nähren im anderen Falle Ängste voreinander und folgendes Abgrenzungsgebaren. Vielleicht würden auch politische Themen wie der tätige AntiRassismus/Antifaschismus oder auch Fragen des Geschlechterverhältnisses nachvollziehbarer, wenn beidseitiges Zuhören mehr Raum bekäme und nicht die pauschale Zurückweisung alles politschen oder spirituellen.

Die Power der Jüngeren

Infotur3.jpg (65355 Byte)Was mir in Bochum (Veranstaltung am 5. März im Bahnhof Langendreer) und in Oberhausen (im Hausprojekt Emsstraße am 6.März) besonders aufgefallen ist, war die doch große Bereitschaft der jüngeren Leute (um die zwanzig), entweder jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt Kommune zu organisieren und damit diese Lebensform für sich auszuprobieren. Irgendwie hatte ich damit weniger gerechnet und die zu beobachtende "Altershomogenität" bei vielen der länger bestehenden Gruppen schon fast als grundsätzliches Problem angenommen. Nach diesen beiden Abenden habe ich den Eindruck, daß die "Jüngeren" ihre Power in den Aufbau von eigenen Projekten stecken werden. Und Abende wie die von uns organisierten sind da als Ermutigung fürs eigene Tun wertvoll. Oft gehörter Ausspruch: "Cool, daß ihr mit euren Erfahrungen in Sachen Kommune mal rüberkommt! Bisher dachte ich, alles wäre nur meine eigene Utopie. Ich wußte garnicht, daß es so eine Vielfalt an Gruppen gibt. Das macht mir Mut, meine Träume anzupacken." Nicht vergessen will ich auch die herzliche Aufnahme, die wir sowohl in Bochum als auch im Hausprojekt Emsstraße bei unseren GastgeberInnen/VeranstalterInnen gefunden haben. Die Gespräche über linke Politik im konzeptionellen Angebot des Bahnhofs Langendreer und über die Situation der Emsstraßengruppe als Wohnprojekt zwischen antirassistischen und antisexistischem Alltag haben mir Eindrücke verschafft, die ich nicht missen möchte.

Auf nach Kaufungen und danach zum Olgashof  

Ob nun die eben am Schluß prognostizierte "Aufbruchstimmung" in Sachen Kommune wirklich ein verallgemeinerbarer Eindruck ist, und insofern meine eher pessimistische Einleitung zu diesem Artikel überholt, kann sich schon bald herausstellen, wenn nach dem Niederkaufunger Los-Geht's-Festival, das über Pfingsten (20. bis 24.Mai 1999) Kommuneintertessierte zum gemeinsamen Markt der Möglichkeiten einlädt, eine kleine Bilanz unserer "Frühjahrsoffensive" gezogen werden kann (siehe Bericht "Los geht's!" auf Seite 4).

Mal sehen, was wir uns auf dem Kommunetreffen beim Olgashof (27. bis 30.Mai 1999) zu erzählen haben werden.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008