SCHENKUNGS-ÖKONOMIE IN BERLIN:
INTERVIEW MIT ANNE AACH
Free-Boxen
von Paul, indymedia
Paul: Was machst Du beruflich?
Anne: Beruflich? Nichts. Ich bekomme
Arbeitslosengeld II und ich fühle mich prima damit.
Paul: Hast Du als Arbeitslosengeld-II-Bezieherin
kein schlechtes Gewissen, weil Du auf Kosten der anderen lebst?
Anne: Du meinst, warum ich nicht auch den Drang verspüre,
meinen Beitrag an notwendigen Tätigkeiten zu ...(äh)?
Paul: Möchtest Du nicht Dein eigenes Geld
verdienen?
Anne: Eigenes Geld? "Verdienen"? Ach.
Kaum ein Mensch bekommt doch so viel Geld, wie er "verdient".
Paul: Liegst Du den anderen nicht auf der
Tasche?
Anne: Freilich. Aber wenn ich nun arbeiten gehen
würde um "mein eigenes Geld zu verdienen", würde ich doch jemand
anderem den Arbeitsplatz wegnehmen. Ich komme damit klar, arbeitslos zu sein,
bekomme keine Psychosen, muss nicht in Therapie. Warum soll ich dann Menschen,
die unbedingt einen Job brauchen, nicht die Arbeit überlassen.
Paul: Du könntest Dir doch einen zusätzlichen
Job schaffen, wobei Du niemanden den Job wegnehmen musst.
Anne: Klar, das ginge. Ich könnte einen Verein gründen,
der meiner Meinung nach etwas sinnvolles als Ziel hat, mir dort eine bezahlte
Stelle verschaffen ... und dann immer der Eiertanz zwischen dem, was wir gut und
richtig finden, wofür wir aber wenig Geld bekommen oder das, wo wir zwar mehr
verdienen, aber es wieder weniger unseren Zielen und Idealen entspricht. Bei der
LEBENSHILFE zum Beispiel: Kümmere ich mich mehr um die Menschen, vergeht zu
viel Zeit, ich komme nicht mehr auf meinen zum Überleben notwendigen
Monatslohn. Mache ich aber schnell, schnell, um auf meinen notwendigen
Monatslohn zu kommen, muss ich wieder woanders Abstriche machen. Ich bin froh,
dass ich die zwei Sachen gerade trennen kann. Vom Job-Center bekomme ich das
Geld und kann dann machen, was ich für sinnvoll halte, ohne mich zu verbiegen.
Paul: Was machst Du, wenn Du nicht arbeitest?
Anne: Ich kümmere mich mit anderen zusammen um
mehrere Free-Boxen.
Paul: Free-Boxen?
Anne: Das kann ein Schrank oder Regal sein, wo
Leute Sachen hinbringen, die sie selbst nicht mehr brauchen, aber die zum Wegschmeißen
zu schade sind. Z.B. Klamotten, Bücher, Radio-Geräte, die andere noch
gebrauchen können.
Paul: Wo stehen die Free-Boxen?
Anne: In unseren Wohngebieten, möglichst dort,
wo ein Dach drüber ist und sehr viele Menschen vorbeilaufen.
Paul: Wie klappt es?
Anne: Prima. Es gibt nur zwei Probleme. Es wird
mehr gebracht als mitgenommen. Und beim Durchschauen hinterlassen manche ein
Durcheinander. Wir sortieren das Zeug fast täglich und schmeißen weg, was
keiner mehr haben möchte. Ich lege zusätzlich noch Sachen in Bushaltestellen
oder auf dem Regional-Bahnhof aus. Ich mache einen Zettel ran, auf dem steht:
"zu verschenken" und drunter noch ein bisschen Propaganda für eine Schenkungs-Ökonomie.
Paul: Noch mal zum Thema Arbeit: Was kritisierst
Du an Arbeit?
Anne: Ich sehe es nicht ein, dass Menschen immer
länger arbeiten sollen. 40-, 50-Stunden-Woche, wofür? Warum? Außerdem ... grundsätzlicher:
Weltweit werden mehr als doppelt so viele Lebensmittel hergestellt, wie alle 6,5
Milliarden Menschen auf diesem Planeten essen könnten. Warum hungern und
verhungern aber Menschen? Dank der Automatisierung gibt es immer weniger zu tun.
Aber wer keinen Job hat, hat kein Geld und kann sich nichts zu essen kaufen.
Paul: Was schlägst Du vor?
Anne: Einfach produzieren, was notwendig ist, es
verteilen und gut ist.
Anne: [An dieser Stelle mussten wir das Interview wegen
eines Polizei-Einsatzes leider längere Zeit unterbrechen.]
Paul: Wir waren bei der Alternative stehen
geblieben.
Anne: Ja. Ich produziere etwas, was ich für
sinnvoll halte und bringe es in den Abhol-Markt, wo es sich jede und jeder
einfach wegnehmen kann. Ich verschenke alles, was ich selbst nicht brauche.
Paul: Viele sind skeptisch, dass das
funktioniert.
Anne: Es gibt Kommunen mit Hunderten Menschen,
wo es so läuft.
Paul: Dann ist doch alles prima. Alle, die
wollen, ziehen in Kommunen und so kann sich das immer mehr ausweiten.
Anne: Ja, die BRD lässt vieles zu. Allerdings
sind diese Kommunen alle zu klein. Sie können nie alles herstellen und
anbieten, was gebraucht wird. Sie sind auf ihre Umgebung angewiesen. Innerhalb
der Kommune können sie ohne Geld leben, aber mit der Umgebung müssen sie
wieder über Geld vermittelt in Austausch treten.
Jetzt wäre es toll, immer mehr Kommunen würden nebeneinander entstehen, bis
- sagen wir mal das ganze Gebiet des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern nur
noch aus Kommunen besteht, dann könnte auf diesem ganzen Gebiet Alles ohne Geld
... es könnte eine Schenkungs-Ökonomie auf großem Gebiet stattfinden. Aber
das lässt kein Staat zu: Zunächst verlangt er Grundsteuer für den Grund und
Boden. Wenn die Menschen dort also ohne Warentausch und ohne Geld glücklich mit
allem, was sie brauchen, selbstversorgt leben, dann brauchen sie doch Geld um
die Grundsteuer zu bezahlen. Und dieses Geld bekommen sie nur, wenn sie Waren
oder Dienstleistungen nach außen verkaufen. Da ist dann schon mal Schluss.
Zweitens würde der Staat massenhaften Austausch von "geldwerten
Leistungen" zugrunde legen und massenhaft Märchensteuer von den Bewohnern
und Bewohnerinnen verlangen. Oder: Da die Menschen sich dort in Mecklenburg
Alles schenken, verlangt der Staat auch noch Schenkungssteuer. Margret Thatchers
"There is no alternative!" muss korrekt heißen: "Wir lassen
keinerlei Alternative zu!"
Paul: Anne, ich danke Dir für dieses Gespräch.