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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Februar 2013

KOMMUNE LOSSEHOF

Mein Ausstieg

Das »Los Geht’s« Treffen 2011 für Kommune- Interessierte fand auf einem Gelände in der Nähe der Kommune Niederkaufungen statt, dem Lossehof. Dieser war mit einer Kaufoption versehen und es bildete sich schnell eine Gruppe, die auf dem Lossehof ihre Vorstellungen von gemeinschaftlichem Leben und Arbeiten verwirklichen wollen. Im Frühjahr 2012 ging es tatsächlich los! In unseren Ausgaben vom Sommer und September 2012 stellte unsere Autorin Claudia das Projekt in der Aufbruchstimmung vor und CONTRASTE vereinbarte, in loser Folge über den weiteren Fortschritt des Projektes zu berichten. Leider ist unsere Autorin mittlerweile aus dem Projekt ausgestiegen, sie berichtet nachfolgend über ihre Gründe. CONTRASTE möchte das Projekt weiterhin begleiten und hofft nun, dass ein Kommunemitglied die Berichterstattung übernimmt.

Von Claudia Herbst # Seit dem Start im Frühjahr 2012 hat sich die Gruppenstruktur verändert. Fünf Personen sind ausgestiegen (zwei Frauen, ein Mann und zwei Kinder). Es sind jetzt noch fünf Frauen, zehn Männer und fünf Kinder in der festen Gruppe. Dazu kommen eine Frau und ein Mann, die in eine einjährige Probezeit gegangen sind. Eine weitere Frau beginnt im Frühjahr 2013 ihre Probezeit. Es gibt für weitere Einstiege eine Geschlechterquote. Es müssen mindestens zwei Frauen kommen, bevor der nächste Mann einzieht.

Ich selbst habe die Kommune im September 2012 nach zweieinhalb Monaten Mitgliedschaft verlassen. Damit sind einige Träume für mich vorerst geplatzt: das Erdbeerbeet, das Baumhaus für die Kinder, die Obstwiese, viele Abende am Lagerfeuer. Und natürlich das Zusammenleben in einer größeren Gemeinschaft, wo sich die verschiedenen Menschen gegenseitig ergänzen und was sie haben, teilen.

Mein persönlicher Kontakt zu einigen in der Gruppe ist gut und auch die Kinder sind mit Kommunekindern befreundet. Sie haben Paten, mit denen sie einen Nachmittag die Woche verbringen. Das erleichtert mir den Alltag und es haben alle Spaß daran. Trotz aller netten Kontakte möchte ich die Kommune als Institution mit ihren derzeitigen Strukturen nicht mehr unterstützen.

Hoffnungsvoll stürzte ich mich im Sommer ins Abenteuer Kommune. Den Umzug durch die halbe Republik, die Trennung der Kinder von ihrem Vater und eine provisorische Wohnsituation nahm ich dabei in Kauf, weil ich glaubte, ein Projekt zu finden, wo ich erstens besser und zweitens konsequenter nach meinen politischen Vorstellungen leben könnte.

Den Umzug nach Kaufungen bereue ich nicht. Es hat sich dadurch für mich vieles positiv entwickelt. Zusätzlich nach meinem Ausstieg aus der Kommune, denn jetzt habe ich mehr Zeit. Vorher wurde meine spärliche Freizeit als alleinerziehende Mutter von Plena, Kommunediensten und allerlei (Kommune-)organisatorischem aufgefressen. Nun kann ich auch die Kontakte zu mir lieben Menschen aus der Kommune mehr genießen.

Was meine politischen Vorstellungen angeht: Ich war davon ausgegangen, dass wir uns Strukturen aufbauen würden, die Hierarchien möglichst vermeiden. Aber im Gegenteil wurde mit einer zentralen Verwaltung, die keine regelmäßigen Arbeitsberichte vorstellt und noch nicht einmal ein klares Arbeitsprofil besitzt, eine Struktur etabliert, die zu einer klaren Informationshierarchie führt.

Einer kennt so gut wie alle entscheidungsrelevanten Daten – die anderen müssen nachfragen. Oder selbst nachrecherchieren. Das können sie immerhin, da der Zugang zur Verwaltung allen offen steht. Daneben gibt es einen regelmäßigen Verwaltungsnewsletter, der allerdings wenige neutrale Daten enthält, sondern zum großen Teil aus persönlichen Interpretationen von Wirtschaftsdaten, Meinungsäußerungen und Mitteilungen über die Befindlichkeit des Verwaltungschefs besteht. Wer unter solchen Voraussetzungen unabhängige Entscheidungen treffen kann, weiß ich nicht.

Immerhin sind nun Reformen in Sicht: ein Verwaltungsbeirat als Kontrollgremium und die Abgabe kleinerer Verwaltungsaufgaben an andere KommunardInnen. Da die Organisation der Verwaltung selbst nicht transparent ist (fehlendes Arbeitsprofil, keine regelmäßigen Arbeitsberichte), wird nun ein Kontrollgremium als etwas besser informierte Mittlerinstanz zwischen Verwaltung und Gruppe eingerichtet. Bemerkenswert finde ich, dass die Verwaltung Assistenz bei ihren Aufgaben erhalten soll, obwohl nicht einmal geklärt ist, welchen Umfang die Verwaltungstätigkeiten haben.

Auch am Sozialplenum hat mich einiges gestört: Es werden dort Elemente aus der Radikalen Therapie praktiziert – ein individualpsychologischer Ansatz, der den Fokus auf die persönlich-zwischenmenschliche Ebene richtet. In den Sitzungen sprechen die TeilnehmerInnen über sich selbst und wie sie sich fühlen. Dazu gibt es die Möglichkeit, Rückmeldungen zu geben und zu erhalten. Das kann sinnvoll sein, um sich gegenseitig besser kennen zu lernen und über persönliche Themen und Konflikte zu sprechen, ist, wenn man zusammen lebt, sicher gut und richtig. Allerdings erlebte ich diese individualisierende Methode als unzureichend für andere Themen des sozialen Miteinanders.

Ich hätte mir eine Ergänzung der sozialen Methoden um ein gruppenpsychologisch orientiertes Element und die regelmäßige Überprüfung der internen Strukturen in ihren Auswirkungen auf die Einzelnen gewünscht.

In einer E-mail an die Kommune schrieb ich, dass ich überlegte, auszusteigen, wenn sich an der Verwaltungsstruktur und den Methoden im Sozialplenum nichts ändert. Ich machte mir die Mühe ein Konzept zu erstellen, wie die Gruppe zu einer Verwaltung mit einem klaren Aufgabenprofil kommen könnte. Die Gruppe wollte aber an der bestehenden Verwaltungsstruktur und zunächst auch an den individualisierenden Methoden des Sozialplenums festhalten. Mir wurde klar, dass sich meine Vorstellungen vom Zusammenleben hier nicht verwirklichen ließen und entschied mich, auszusteigen. Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es auch persönliche Konflikte gab, die sich zwar als lösbar erwiesen, mich in meinem ohnehin stressigen Alltag aber immer wieder zusätzlich belasteten. Ein weiterer Grund, mich zu distanzieren, denn ich fand zu wenig Erholung.

Nach meinem Ausstieg zog ich in eine andere Kommune- WG um. Die alte Wohnung war zu feucht und kalt und es waren einige Baumaßnahmen angekündigt. Außerdem fühlte ich mich dort allein, da es kaum gemeinsamen Alltag mit den anderen BewohnerInnen gab und ich wollte mit der anderen Alleinerziehenden aus dem Projekt zusammen ziehen. Das Haus gehört nicht der Kommune, sondern ist angemietet und soll längerfristig aufgegeben werden, wenn genügend Wohnraum auf dem Lossehof geschaffen wurde.

Ursprünglich als Übergangslösung bis zu meinem Auszug aus der Kommune geplant, entwickelte sich die neue WG immer mehr zu einem Zuhause. Ich würde gern dort bleiben und auch die anderen im Haus wohnen gern mit mir und den Kindern zusammen. Mit einer Ausnahme: Ein Mitbewohner fühlt sich in der neuen Konstellation nicht wohl, ist aber damit einverstanden, wenn wir bleiben und würde in eine andere Kommune-WG ziehen. Meine Mitbewohnerin hat dem Plenum der Kommune den Vorschlag gemacht, dass wir bleiben können, solange es mit der restlichen WG passt. Das wurde abgelehnt. Es ist nicht klar, wie eine Lösung des Konflikts aussehen kann. Ich habe jedenfalls nicht vor, unser soziales Umfeld und die gegenseitige Unterstützung mit einer anderen Alleinerziehenden einfach aufzugeben.

Nachtrag Ende Dezember 2012:

Ein Kommunarde hat sich bei der CONTRASTE-Redaktion gemeldet, um gegen das Erscheinen dieses Artikels vorzugehen. Die Redaktion hat sich entschieden, ihn so wie er ist, zu veröffentlichen und dem Lossehof einen Artikel in der Folgeausgabe angeboten, den ein Kommunemitglied schreiben wird.

Außerdem neu: Vor ein paar Wochen ist unser unzufriedener Mitbewohner in eine andere Kommune-WG gezogen. Die anderen haben sich nun entschieden, gemeinsam aus der Kommune auszusteigen. Damit gehört ein Standort nicht mehr zur dezentralen Kommune. Es bleiben: drei Lossehof-WGs (vier Frauen, neun Männer und vier Kinder) und unser SeparatistInnengrüppchen (zwei Frauen, ein Mann, drei Kinder).

RICHTIGSTELLUNG in CONTRASTE Nr. 342 vom März 2013:

In unserer Ausgabe vom Februar 2013 beschrieb Claudia Herbst ihren Ausstieg aus der Kommune Lossehof. Im abgedruckten Nachtrag zur Aktualisierung ihres Beitrages schrieb sie: »Ein Kommunarde hat sich bei der CONTRASTE-Redaktion gemeldet, um gegen das Erscheinen dieses Artikels vorzugehen. « Das ist sachlich falsch. Richtig ist, dass ein Kommunarde vorab eine Mail geschrieben und angefragt hatte, ob die Kommune zeitgleich mit dem Erscheinen von Claudias Artikel eine Stellungsnahme dazu verfassen könnte. Die CONTRASTE-Redaktion hatte damals entschieden, den Beitrag ohne eine Stellungnahme abzudrucken, die Stellungnahme sollte später erscheinen. Die Artikelserie über die Weiterentwicklung der Kommune Lossehof wird im Mai 2013 fortgesetzt.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 20. Februar 2013