BESTANDSAUFNAHME UND AUSBLICK
Anarchismus 2.0
Seit der weltweiten Auseinandersetzung um den
Neo-Liberalismus hat sich besonders in den USA ein neues Selbstverständnis des
Anarchismus entwickelt. Das Internet trägt dazu bei, dass heute die
inhaltlichen Debatten schneller geführt werden, dass Widerstandsformen
größere Verbreitung finden. Auch in Deutschland kommen die unterschiedlichsten
Ansätze in Philosophie und Praxis langsam an.
Von Jochen Knoblauch # Aber es gibt keinen Baum
ohne Wurzeln: die ersten Generationsübergreifenden Veränderungen erlebte der
klassische Anarchismus in den 1960er Jahren bis gegen Ende des 2. Jahrtausend
– in Folge als Anarchismus 2.0 benannt. Zeit also für eine Bestandsaufnahme
des Anarchismus in den letzten 50 Jahren, sowie einen Ausblick auf dessen (Weiter-)Entwicklung.
Der ArbeiterInnen-Anarchismus des 19. Jahrhunderts war noch geprägt von der
kapitalistischen Klassengesellschaft, die mit fortschreitender Technisierung
sich immer mehr auflöste. Im Europa des 20. Jahrhunderts kamen weiterhin die
Weltkriege dazu, die oppositionelles Denken zu schweigen brachten, sowie
Revolutionen, die nicht dem emanzipatorischen Charakter einer libertären
Vorstellung entsprachen, um die gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig zu
verändern.
Erst die StundentInnenrevolten der 1960er Jahre brachten hier neue Ideen,
neue Diskussionen und neue Widerstandsformen hervor und führten oft zu Brüchen
zwischen den Generationen. Eine Bestandsaufnahme könnte verhindern, gleiche
Fehler erneut zu begehen.
Seit der Zeit der »Aufklärung« im 18. Jahrhundert haben sich das Denken
und das Streben dahingehend bemüht, im Menschen ein autonomes Wesen zu sehen,
welches unabhängig von einem Gott oder Staat agieren kann. Hier herrschte noch
das Gedankengut des Feudalismus vor. Heute, in unserem technisierten Zeitalter,
wo es eine weltumfassende Kommunikation gibt, scheinen wir diesem Ziel – dem
autonomen Menschen – kaum näher gekommen zu sein. Der Kapitalismus hat sich
bisher als flexibler erwiesen, als noch von Theoretikern wie Marx, aber auch
einigen AnarchistInnen vorhergesagt. Daher ist der Anarchismus als Idee, als
Philosophie aufgerufen, darauf zu reagieren, was er seinem Wesen nach –
nämlich undogmatisch und freiheitlich zu sein – eigentlich ohne weiteres
nachkommen müsste. Diese Diskussion muss in jeder Generation neu geführt
werden.
Aber der Anarchismus wirkt natürlich längst in die verschiedenen Sozial-
und Kulturstrukturen hinein, ohne explizit als anarchistisch zu gelten.
Forderungen nach Basisdemokratie, Konsensentscheidungen, Unabhängigkeit von
Staat und/oder Konzernen usw. sind durchaus libertäre Bestrebungen, wenngleich
die Protagonisten sich nicht philosophisch festlegen lassen. Deshalb sollten
AnarchistInnen heute u.U. weniger die Schwarze Fahne schwenken, als vielmehr
grundsätzliche libertäre Inhalte in die Gesellschaft tragen und zum Konsens
werden lassen. Das ewige Klischee des Bombenwerfenden, Schwarzbemäntelten hält
sich hartnäckig, und einige AnarchistInnen wollen sich selbst durchaus auch so
sehen, und gefallen sich in der Ecke des Außenseiters, aber die Anarchie, die
herrschafts- und gewaltfreie Gesellschaft kann keine Utopie von
AußenseiterInnen nur sein, zumal dies eine Forderung für uns alle sein soll.
Fast wäre mensch dazu geneigt zu sagen: Die Anarchie ist zu wichtig, um sie den
AnarchistInnen zu überlassen. Nur eine gemeinsame Anstrengung kann uns zu einer
besseren Welt führen.
So bringt dieser Schwerpunkt eine Auswahl an Texten und Themen, die hier
natürlich in diesem Rahmen nicht ausschöpfend oder in Gänze behandelt werden
können. Die Auswahl umfasst den Anarchafeminismus, die Libertäre Pädagogik,
den Kommune- Gedanken, anarchistische Einflüsse in der Kultur, sowie in den
Neue Sozialen Bewegungen, oder etwa im Internet und versucht ein Grundlegendes
für einen möglichst breit aufgestellten Anarchismus in Thesen zu fassen. Die
AutorInnen haben z.T., gegenüber dem gleichnamigen Buch (1), neue, bzw.
überarbeitete Artikel vorgelegt, und sind allesamt in ihren jeweiligen Themen
(und darüber hinaus) seit Jahren aktiv.
1) Hans Jürgen Degen /
Jochen Knoblauch (Hg.): Anarchismus 2.0 – Bestandsaufnahmen.
Perspektiven. Schmetterling Verlag Stuttgart 2009.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10
SCHWERPUNKTTHEMA:
Eine anarchafeministische Bewegung ist nötig
Seite 7
Sozial bewegte Reise in den Osten: Eine @ndere »Wende«-Geschichte
Seite 7/8
Kultur und Anarchismus: Die Aufgabe der »Kultur« im neoanarchistischen
Verständnis
Seite 8
Thesen zum Anarchismus
Seite 8/9
Gemeinsam Wohnen & Arbeiten: Das Projekt A in Neustadt an der
Weinstraße
Seite 9
Internet: Die Netze denen, die drin wohnen!
Seite 10