VON DER VIELFALT ANDEREN WIRTSCHAFTENS INNER- UND AUSSERHALB DER
MARKTWIRTSCHAFT
Solidarische Ökonomie hat viele Gesichter
Foto: Oliver Voß
Was die verschiedenen Formen Solidarischer
Ökonomien eint, ist das Wirtschaften für die Menschen statt für den Profit.
Das heißt es geht nicht darum, Gewinne zu erzielen, sondern darum, Produkte
herzustellen oder Leistungen zu erbringen, die konkrete menschliche Bedürfnisse
befriedigen.
Von Hartwig Daniels (Mainz) und Elisabeth Voß (Berlin)
# Die Beziehungen dieser solidarischen Wirtschaftstätigkeit zur
dominierenden Marktwirtschaft können sehr unterschiedlich sein. Die Bandbreite
der Akteure reicht von genossenschaftlichen Unternehmungen, die in der
marktwirtschaftlichen Konkurrenz bestehen und deshalb auch Überschüsse
erwirtschaften müssen, über öffentlich geförderte Sozialprojekte bis zu
Formen von Produktion oder Dienstleistungen jenseits des Marktes, die den
Eigenbedarf Einzelner oder bestimmter Gruppen – etwa Nachbarschaften –
decken.
Der Begriff »Solidarische Ökonomie« wurde in den 1970er Jahren von Luis
Razeto in Chile geprägt. Er untersuchte kleine Selbsthilfeunternehmen von
marginalisierten Menschen und fand heraus, was auch Erfahrungen hierzulande
bestätigen: es liegt vor allem an den Beteiligten selbst und ihrem Umgang
miteinander, ob ihr Vorhaben dauerhaft lebensfähig ist. Erschwerend kommt
hinzu, dass Vorhaben der Solidarischen Ökonomie sich innerhalb einer
dominierenden Marktwirtschaft entwickeln müssen, die auf Gewinnorientierung und
Konkurrenz basiert und die dem Zwang zu wirtschaftlichem Wachstum unterliegt.
Von ihr geht oft eine Bedrohung aus. Wir verstehen Solidarische Ökonomie
jenseits der Betrachtung einzelner mikroökonomischer Beispiele daher auch als
grundlegenden Gesellschaftsentwurf, als politisches Projekt. Neben einzelnen
Betrieben und Projekten, die basisdemokratisch und nutzenorientiert arbeiten,
geht es uns auch um den makroökonomischen Blick auf öffentliche Unternehmen,
ganze Volkswirtschaften und internationale Beziehungen, die sich an Grundwerten
wie Solidarität und Menschenrechten für ausnahmslos alle Menschen auf dieser
Welt – sowohl die heute Lebenden als auch zukünftige Generationen –
orientieren.
Aspekte der wirtschaftlichen Selbsthilfe am Markt sind zum einen Versuche,
bessere oder günstigere Produkte herzustellen, als sie am Markt verfügbar
sind, zum anderen die Schaffung von existenzsichernden Arbeitsplätzen zu
würdigen Bedingungen. Dabei kommt es zur Aufhebung der Rollen von
ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen, die Menschen arbeiten selbstverwaltet
und selbstbestimmt. Carl Davidson skizziert anhand von 10 Projektbeispielen die
Vielfalt solcher Selbsthilfeunternehmen in den USA. Hartwig Daniels stellt die
Attac-Kampagne »Betriebe in Belegschaftshand« vor. Sie setzt sich dafür ein,
dass in Deutschland bessere gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen zur
Fortführung von Betrieben durch die Belegschaften geschaffen werden, deren
Eigentümer wechselt, oder die durch Insolvenz bedroht sind.
Judith Dellheim gibt einen Einblick in Strukturen Solidarischer Ökonomien in
Mittel- und Osteuropa, die im Spannungsfeld von wirtschaftlicher Not,
internationaler Unterstützung und politischen Auseinandersetzungen eigene Wege
und eigene Begrifflichkeiten entwickeln. Dazu gehören auch Kämpfe um
Ressourcen der Daseinsvorsorge und die Bewahrung und Bewirtschaftung
öffentlicher Infrastrukturen. Diese spielen ebenfalls eine wichtige Rolle in
Lateinamerika, und Kerstin Sack zeigt darüber hinaus auf, wie dort
internationale solidarische wirtschaftliche Strukturen aufgebaut werden von
Regierungen, die zumindest partiell aus der Staatenkonkurrenz austreten, weil
sie verstanden haben, dass die Bedürfnisse ihrer Bevölkerungen besser mit- als
gegeneinander befriedigt werden können.
Jenseits der Marktwirtschaft scheint eine Aufhebung der – aus der
kapitalistischen Wirtschaftsweise resultierenden – Trennung von Produktion und
Reproduktion auf. In ihrem Überblick über die noch kleine CSA-Bewegung in
Deutschland (CSA = Community Supported Agriculture) zeigt Dagmar Embshoff, dass
es hier um gemeinschaftliche Selbstversorgung geht, und nicht um Aktivitäten am
Markt. Der Beitrag von Ulrike Knobloch über Care Ökonomie verdeutlicht die
Vielfalt von Sorgetätigkeiten sowohl in Produktion und Reproduktion, als auch
darüber hinaus. Wichtig ist hier auch der Blick auf die
Geschlechterverhältnisse.
In der Vielfalt Solidarischer Ökonomien ist es aber letztlich immer die
einzelne Person, die als handelndes Subjekt – allein oder gemeinsam mit
anderen – die Welt gestaltet. In diesem Sinne stellt Franziska Kohler die
Anregungen, was jede und jeder selbst tun kann, des österreichischen
Attac-Aktivisten Christian Felber vor.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10.
Weitere Beiträge folgen: Im Januar 2011 von
Elisabeth Voß zu Umsetzungsstrategien für Solidarische Ökonomien und im
Februar 2011 von Hartwig Daniels zur Rolle von Gewerkschaften bei
Betriebsübernahmen durch Belegschaften.