Politische Bewegung als Fanclubs von Markt und Staat?
Kritik moderner linker Ideologien
Die Zeiten der Konfrontation scheinen vorbei.
Wer heute als Ziel nennt, ohne den Einsatz von
Herrschaftsmittel sowie gegen Konzerne und
Marktwirtschaft zu einer emanzipatorischen
Veränderung zu kommen, gilt als Spinner oder
weltfremd. So schreibt Sven Giegold in der
Aktionszeitung von attac zum 14.9.2002 zur "Forderung
nach Abschaffung" von WTO, Weltbank & Co: "In der
Öffentlichkeit wird sie als politischer Größenwahn
wahrgenommen. Man begibt sich damit in die
politische Isolierung und schneidet sich selbst die
Möglichkeit ab, in politisch relevante Diskurse zu
intervenieren." Doch attac ist nur der offensichtlichste
Fall von Markt- und Staatsfetischismus. Fast alle
politischen Gruppen in Deutschland sind zu Anhängern
von Staat oder Markt geworden - viele auch von
beidem.
Red. Umweltschutz von unten -
"Demokratie jetzt!" forderte
die BI Lüchow-Dannenberg in einem Infobrief zum
Castor-Transport im November 2002. Ökoverbände begrüßen die
Privatisierung der Rente, weil dann Geld in Ökoprojekten
angelegt wird. Windenergie-Verbände setzten
sich für die Abschaffung der BürgerInnenbeteiligung bei
Windrädern ein und machen diesen Wirtschaftsbereich
zu einem der modernsten Marktsegmente der Republik.
PazifistInnen fordern neue Gerichtshöfe, Grüne führen
auch ohne diese Kriege im Rekordtempo. Niemand aber
hinterfragt den neuen Mythos von Markt und Staat: Warum ist
die Demokratie so beliebt? Warum setzen immer
wieder selbst politische Gruppen ihre Hoffnung in den
Staat - neuerdings sogar in Konzerne? Soll der Markt
plötzlich zum Heilsbringer werden? Ist am Ende die Position,
Krieg könne Frieden schaffen, gar nicht so absurd ...
wo doch viele andere Umweltschutz durch Industrie,
Gerechtigkeit durch Steuern oder Freiheit durch mehr Staat
haben wollen?
Die politische Diskussion ist durchzogen von Positionen und
Forderungen, die keinen weitergehenden Sinn
ergeben oder zugunsten kurzfristiger Ziele grundlegende
Positionen ausblenden bzw. gar das Gegenteil vom eigentlich
Passenden fordern - z.B. mehr Staat oder neue
Marktmechanismen. Das ist die Folge fehlender
Herrschaftsanalyse. Politische Bewegung ist wie die
Regierungen: Sie lebt von der Hand in den Mund, reagiert auf
tagesaktuelle Vorgänge und agiert nicht in einer
zusammenhängenden Strategie. Politische Ziele gibt es meist
gar nicht - nicht einmal falsche. Zu erkennen ist das daran,
dass sich die konkreten Forderungen oftmals widersprechen.
Ein roter Faden in Form grundlegender Ziele ist
eben nicht vorhanden. Es fehlt an Visionen einer anderen,
besseren Welt. Es fehlt sogar noch an der Vorstufe,
nämlich der vagen Vorstellung, was eine politische Gruppe
überhaupt will. Mehr Gerechtigkeit? Mehr Freiheit?
Eine Welt ohne Diskriminierung und Unterdrückung?
Das Ende der Umweltzerstörung? Nichts ist mehr klar.
Visionär war politisches Engagement in Deutschland
selten, zur Zeit sind es nur noch Splittergruppen, die
wenigstens versuchen, ihre Träume einer besseren Welt
wenigstens zu beschreiben, zu diskutieren und ihre
politischen Aktivitäten auch darauf auszurichten. Doch heute
fehlen nicht nur die Visionen, sondern auch nachvollziehbare
Kritiken. Politische Aktion richtet sich meist gegen
herausstechende Symbole von Herrschaft, Diskriminierung usw.
Eine Vermittlung von Inhalten fehlt oder reduziert sich
ebenfalls darauf. Über den Ein-Punkt-Bezug
geht es nicht hinaus. Das hat Folgen: Was bei näherer
Betrachtung als Ursache des Kritisierten aufgefallen wäre
(nämlich Herrschaft, also u.a. der Staat und seine
Institutionen, und Markt/Verwertung), wird plötzlich zum
Hoffnungsträger. Also der Bock zum Gärtner. Grund sind die
unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten in Markt und
Staat. Aus der Ohnmacht werden die Mächtigen angerufen und
zum Retter stilisiert. Das modernisiert und stärkt
Herrschaftsverhältnisse. Nationalstaaten, Regierungen,
Industrie- und Handelskammern, UNO-Institutionen,
Gerichte und viele mehr wissen die modernen NGOs
längst als ihre Unterstützerinnen. Wenn sie deren Kritik
im Detail ertragen können, bleibt ihnen eigentlich nur
noch, die Akzeptanzbeschaffung zu genießen ...
In zwei Texten sollen diese Aspekte angegangen werden. Dieser
Schwerpunkt birgt einige Analysen zu Ideologien und
Forderungen politischer Gruppen. Dabei steht
ein grundlegender Blick auf staats- und marktbefürwortende
Positionen im Mittelpunkt. Das wäre ohne Zweifel
an vielen Punkten zu vertiefen und an Beispielen zu belegen,
doch fehlt hier der Raum. Umfangreicher ist das
neue Buch "Nachhaltig, modern, staatstreu?" (Autor:
Jörg Bergstedt). Die Texte hier sind Kurzfassungen oder
Auszüge ausgewählter Kapitel. Die Texte dieses Schwerpunktes
beziehen sich in der Regel auf Deutschland und
die politischen Gruppen dort. In anderen Ländern gibt es
teilweise gravierende Unterschiede, oft aber ähnliche
Probleme.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10.
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