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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Debatte

„Arbeitsplatz eingerichtet"

Arbeitsplätze in Selbsthilfe-, Frauen- und Alternativprojekten durch besonders steuerbegünstigte Spenden!

Wer kennt sie nicht, die Wut, die mit immer wiederkehrender Pünktlichkeit hochsteigt, wenn dein Blick auf die Gehaltsabrechnung fällt: da hat man/frau nun den ganzen Monat geackert, und dann wird mehr als ein Drittel der sauer verdienten Kohle vom Finanzamt eingesackt! Ganz zu schweigen vom alljährlichen Frust, wenn von den 100 DM mehr, die bei den Tarifverhandlungen rausgesprungen sind, gerade 50 DM übrigbleiben, weil neben den Sozialversicherungen das Finanzamt mitkassiert.

Richtig übel wird dir dann spätestens, wenn der Bundeshaushalt verabschiedet wird und du siehst, daß 1/3 der Steuern in die Rüstung fließen. Dabei könnten doch so viel sinnvollere Sachen mit dem Geld gemacht werden, wenn nicht die in Bonn den Daumen drauf hätten.

Was würdest du sagen, wenn nicht der Staat, sondern du selbst darüber entscheiden könntest, wie die Steuern, die du zahlst, verwendet werden?

 

Stell' dir vor, du könntest einen Teil deiner Steuergelder dazu benutzen, dem Stadtteilladen, im dem sich eure Friedens- oder Mietergruppe immer trifft, die dringend gebrauchte Koordinationsstelle zu finanzieren. Angenommen, du hättest die Chance, mit deinen Steuern einen Arbeitsplatz statt Raketen zu finanzieren und dann auch noch in einem Projekt, das gesellschaftlich nützliche Arbeit macht. Könnte das nicht die Alternative zur frustigen Existenz des/der komplett bevormundeten Steuer- "Bürgers/in" sein?

Daß unsere Steuergelder in Stadtteilläden, Selbsthilfegruppen, Gesundheits-, Ökologie- und Frauenprojekten besser aufgehoben sind als z.B. in der Rüstung, darüber gibt es keinen Zweifel. Und ebensowenig kann bezweifelt werden, daß diese Projekte das Geld dringend brauchen:

Nach wie vor werden die sozialen Selbsthilfe-, Frauen- und Alternativprojekte auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene gegenüber den traditionellen Verbänden benachteiligt. Eine institutionalisierte Förderung über Haushaltstitel gibt es nur in Ausnahmefällen (z.B. Frauenhäuser, und für diese auch nicht überall.

Andere Förderungswege, z.B. die "Hilfe zur Selbsthilfe" a la Fink ist – publikumswirksam verkauft – in Wahrheit nichts anderes als eine konsequente Mobilisierung des Ehrenamtlichkeitsprinzips und der mit "Entbürokratisierung" und "mehr Menschlichkeit" bemäntelte Abbau sozialer Leistungen (Förderungsdauer höchstens 2 Jahre und in der Regel nur Sachmittelfinanzierung). Auch die mit viel "Dschinderassabum " ausgehandelten alternativen Förderungsprogramme in Hessen und Bremen geben nicht viel Anlaß zum Optimismus. Wer genau hinsieht, wird feststellen, daß diese Förderungswege nur für Ökonomische Alternativprojekte gedacht sind. Die große Zahl der Dienstleistungsprojekte aber ist nicht davon betroffen. Und wenn dieses oder jenes Projekt doch in den "Genuß" staatlicher Förderung kommt, dann ist das immer mit entsprechend politisch-bürokratischer Kontrolle verbunden.

Soweit, so schlecht! Zusammengefaßt muß gesagt werden, mit der Überlebensperspektive vieler Selbsthilfe-, Frauen- und Alternativprojekte im sozialen Dienstleistungs- und Kulturbereich steht es nicht zum Besten. Und was nicht weniger schwer wiegt, ist die Tatsache, daß das Thema "Selbsthilfe" derzeit stark von konservativer Seite vereinnahmt und mit entsprechenden Inhalten besetzt wird, während die öffentliche Thematisierung der Projektarbeit und der daraus abgeleitete berechtige Anspruch auf öffentliche Förderung den Projekten mehr und mehr aus der Hand genommen zu werden droht.

Wir schlagen deshalb - als Basisfinanzierungsstrategie in Ergänzung zu staatlichen Förderungswegen - ein Finanzierungskonzept vor, von dem wir meinen, daß es dem einzelnen die Möglichkeit eröffnet, über die konkrete Verwendung seiner Steuergelder mitzubestimmen und gleichzeitig die Überlebensperspektive der Selbsthilfe-, Frauen- und Alternativprojekte verbessert. Trotz finanzieller Beteiligung des Staates hoffen wir mit unserem Konzept, die politisch-bürokratische Kontrolle zu minimieren und letztlich die konkrete Frage der Projektfinanzierung mit einem wirklichen qualitativen Umbau des Sozialstaats zu koppeln.

Konkret zielt unser Konzept darauf ab, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, durch die Spenden an gemeinnützige Institutionen, Gruppen, Frauen- und Alternativprojekte von der Steuerschuld (nicht wie bisher vom zu versteuernden Einkommen) abzugsfähig werden, und zwar in einer Höhe von 80% bei Spenden bis zu 1.000 DM, zu 60% bei Spenden bis zu 2.000 DM und zu 50% bei Spenden über 2.000 DM (bei Verheirateten jeweils Verdoppelung). Voraussetzung ist, daß mit diesen Spenden nachweislich neue Arbeitsplätze eingerichtet werden. Würde also beispielsweise Herr oder Frau B. 1.000 DM ans Frauenhaus spenden, dann würde sich durch diese Regelung ihre Steuerschuld um 800 DM vermindern (z.B. von 12.000 DM auf 11.200 DM), und die reale Spende betrüge 200 DM, denn 80% (= 800 DM) müßte der Staat übernehmen. Das bürokratische Kontrollverfahren sollte unserer Vorstellung nach darauf reduziert sein, daß das Frauenhaus Herrn oder Frau B. eine Bescheinigung mit dem Verwendungszweck ("Arbeitsplatz eingerichtet") ausstellt, und dies dann bei der Lohn- oder Einkommenssteuererklärung beim Finanzamt eingereicht wird.

Ähnlich wie bei der Öko-Bank setzen wir auf ein Bewußtsein, das eigene Geld nicht nur irgendeiner anonymen Institution anvertrauen zu wollen, sondern damit etwas zu tun, was dem eigenen politischen Bewußtsein und Selbstverständnis entspricht. Ein solcher Gleichklang zwischen den Zielen des eigenen politischen Engagements und der Geldanlage braucht entsprechende Ausdrucksmöglichkeiten.

Eine Spendenregelung in oben beschriebenen Sinne würde nicht nur eine solche Ausdrucksmöglichkeit schaffen, sie wäre darüber hinaus - und vor allen Dingen - auch ein Stück mehr Selbstbestimmung. Der/die (Steuer-) Bürger/in könnte selbst den qualitativen Umbau des Sozialstaats mitbestimmen. Er/sie könnte selbst darüber entscheiden welche gesellschaftlichen Bereiche mit Steuergeldern gefördert werden sollen, und gleichzeitig bliebe der Staat zumindest finanziell in seiner sozial-politischen Verantwortung bei gleichzeitig minimaler bürokratischer Kontrolle. Es würde eine neue Balance zwischen klassischem und oft kritikwürdigem Sozialstaat und neuen selbstbestimmten sozialen Dienstleistungen entstehen können.

Zu schön, um wahr zu sein? Zumindest zu schön, um nicht auch mehrere Probleme mit sich zu bringen. Voraussetzung für diese Spendenregelung ist nämlich eine Änderung des Einkommensteuergesetzes, die in Bonn beschlossen werden muß.

Bei vielen in der Alternativbewegung und den Projekten reicht das Wort "Bonn" schon aus, um Mißtrauen zu erwecken. Schließlich war und ist Selbsthilfe und Selbstorganisation in alternativen Projekten ja auch das Resultat enttäuschter Erfahrungen, die man/frau mit den etablierten Parteien und deren abstrakter Politikebene gemacht hat.

Bevor unser Vorschlag - mit dem Hinweis auf diese Erfahrungen – nun aber gleich wieder zu den Akten gelegt wird, lohnt sich vielleicht doch (noch) ein Blick auf die konkreten Probleme, die sich ergeben: Die Frage der staatlich-administrativen Umsetzung (geht das denn einfach so?) soll hier nicht unsere Sorge sein. Und bevor wir über die Frage der Durchsetzbarkeit spekulieren (was sagt denn der Stoltenberg dazu?), liegt es näher, sich damit zu befassen, wie dieser Vorschlag überhaupt auf die politische Tagesordnung gesetzt werden kann. Bekanntlich ist der politische Einfluß der Alternativbewegung in Bonn nicht gerade groß. Es sind da zwar noch die Grünen, aber wenn die Initiative von den Grünen ausginge, wäre das Vorhaben vielleicht schon gerade deshalb politisch tot.

Aber es lassen sich auch andere einflußreiche Bündnispartner finden. Bei den Kirchen, den großen Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen und anderen gemeinnützigen Organisationen herrscht nämlich Ebbe in der Kasse. Steuerbegünstigte Zwecke im Sinne der Gemeinnützigkeit finden sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen, z.B. Bildung, Erziehung, Kunst, Kultur, Umwelt- und Landschaftsschutz, Jugend- und Altenhilfe, Gesundheits- und Wohlfahrtswesen, usw.

Das Spektrum von gemeinnützigen Organisationen, die von einer solchen Regelung profitieren könnten, ist ziemlich groß. Erst Gespräche mit Wohlfahrtsverbänden, Landeskirchen und anderen Organisationen haben bestätigt, daß von dieser Seite her Interesse an der Regelung besteht. Auch mit den politischen Programmen der Parteien ist die Spendenregelung durchaus vereinbar, "mit kleinen, überschaubaren Einheiten" (CDU), "kleinen sozialen und kulturellen Netzen" (SPD), "mehr Selbstverantwortlichkeit für den Staatsbürger" (FDP), "Förderung von Selbsthilfe-, Frauen- und Alternativprojekten" (Grüne). Und gegen zusätzliche Arbeitsplätze wird keine Partei etwas einwenden wollen (die im übrigen den Staat auch gar nicht soviel mehr kosten müssen, denn dafür wird ja z.B. Arbeitslosengeld gespart und zugleich gesellschaftlich notwendige Arbeit geleistet).

Ein ernsthaftes Problem stellt natürlich der mögliche Mißbrauch einer solchen Regelung dar, und die Frage, wie dem begegnet werden kann. Klar ist, daß auch Organisationen von dieser Regelung profitieren werden, die der Alternativbewegung politisch nicht sehr nahe stehen. Letztlich ist sogar damit zu rechnen, daß zunächst die vermeintlichen Bündnispartner, also die großen Verbände und Organisationen "absahnen" werden. Macht diese Regelung dann überhaupt noch Sinn für Selbsthilfegruppen, Frauen- und Alternativprojekte?

Wir meinen, ja. Denn erstens gibt der Status quo der staatlichen Projektförderung wenig Anlaß zur Hoffnung und autonome Finanzierungsmöglichkeiten konnten in der Vergangenheit kaum erschlossen werden. Zweitens versteht sich dieses Konzept bewußt als Ergänzung zu anderen Förderungswegen. Ein zweites Standbein der Projekte, das vielleicht auch etwas mehr politische Autonomie ermöglicht, während der Staat ja grundsätzlich in seiner Verantwortung gehalten wird. Die Politisierung des direkten Förderungsweges soll damit auch weiterhin nicht außer acht gelassen werden. Und warum sollen sich, drittens, langfristig gesehen die Projekte mit ihrer Arbeit nicht behaupten können?

Die Spendenakquisition, das "Türklinken-Putzen" mag ein mühseliges Geschäft sein, das viele Projekte als Überlastung ansehen, weil sie schon jetzt zu viel Arbeit haben.

Für Gruppen, die im Moment keine Chance haben, könnte die Spendenregelung aber eine Möglichkeit sein, sich zu etablieren. Und das "Türklinken-Putzen" hat nicht nur einen direkteren und größeren Politisierungseffekt als das Antragsschreiben bei den Bürokratien, es dient auch einer wirklichen Verankerung der Projekte im Kiez.

Die Projekte haben, wollen sie weiter überleben, keine Wahl: ihre politische Kraft ist zu schwach, sich selbst zu finanzieren und den Verteilungskampf um öffentliche Haushaltstitel sehr viel entscheidender zu beeinflussen als in Bremen, Hessen oder Berlin. Die Radikalisierung des/der Steuerbürger/in steht in seiner Eigenschaft an, zumindest über Teile von dem zu verfügen, was er als Steuer bezahlen muß. Mit der Spenden-Gesetzesinitiative haben wir nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen, auch wenn andere davon profitieren werden. 

Im Februar oder März nächsten Jahres werden wir deshalb eine Zusammenkunft all derer organisieren, die diese Initiative stützen und tragen wollen.

Informationen über den aktuellen Stand der Initiative sowie unser vollständiges Konzept über Franz-Josef Bartsch, Potsdamerstr. 130, 1 Berlin 30, Tel.: 030/852 30 78 oder 262 64 65

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 02. Oktober 2008