Monatszeitung für Selbstorganisation
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ANDERS ALS IN SHELL-STUDIEN"Nicht nur die eigenen Eltern"Stimmen von Kommune-Jugendlichen aus Niederkaufungen Jonas, Jg. 1982Ich denke gerne an meine Kindheit in der Kommune zurück. Ich lebte dort, solange ich denken kann, bin mit vier Jahren mit meinen Eltern dort eingezogen und mit zwanzig Jahren nach dem Zivildienst zum Studieren wieder ausgezogen. Vieles habe ich mitgenommen; ich habe gelernt, wie man mit anderen Menschen umgeht und sich in andere hineinversetzen kann, wie man Konflikte löst, ohne einander persönlich anzugreifen. Ich bin der Meinung: Für ein Kind gibt es keine, mir bekannte, bessere Form aufzuwachsen. Behütet von vielen netten Menschen, die um einen besorgt sind und sich um die kleinen oder großen Probleme kümmern, die während des "Großwerdens" so anfallen. Es sind nicht nur die eigenen Eltern, sondern auch andere Menschen mit vielen Facetten, an die man sich halten kann. Das muss natürlich nicht immer nur ein Vorteil sein. Auch bei Auseinandersetzungen musste man sich nicht nur mit den Eltern beschäftigen, sondern sich auch von anderen "reinreden" lassen. Zusammenfassend möchte ich aber feststellen, dass ich sehr gerne in der Kommune aufwuchs. Nora, Jg. 1983Im Jahr 2002 habe ich in meinem Abschiedsbrief geschrieben: "Und ich denke, dass mir selbst die ewigen Diskussionen etwas gebracht haben." Das sehe ich jetzt mit etwas mehr Abstand noch genauso. Meiner Meinung nach ist eine gute Diskussionskultur etwas, das viel Übung benötigt. Zu dieser Erkenntnis hat mir mein Aufwachsen in der Kommune sicherlich verholfen. Eng verknüpft mit diesem Aspekt ist die Einsicht, dass es zu einer Sache meist ca. so viele Meinungen wie Menschen gibt und dass nicht eine Meinung zwangsläufig besser ist als eine andere. Entscheidend ist meiner Meinung nach, imGespräch zu bleiben und viele Meinungen nebeneinander stehen lassen zu können. Etwas, wofür die Kommune ein gutes Übungsfeld bietet. Ich habe also gelernt, dass es viele Standpunkte gibt und sich lohnt, sie alle zu betrachten, da nicht zwangsläufig der Lauteste Recht hat. Dass dies oft viel Kraft erfordert, habe ich auch als Erkenntnis mitgenommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich erfahren habe, dass eine liberale Einstellung oft eher zum Ziel führt als Dogmatismus. Dieser Punkt ist für mich einer der wichtigsten. Daneben wurzelt natürlich auch mein ökologisches Verständnis in meiner Kommunevergangenheit. Und last but not least, dass im Leben andere Dinge von Bedeutung sind als Geld und Macht. Lotta, Jg. 1984Was ich aus der Kommune für mein jetziges leben mitgenommen habe? Nun, da fällt mir natürlich vor allem das Bio-Essen ein! Nein, mal ganz im Ernst: solche "Kleinigkeiten sind mir sehr wichtig geworden... Ich lebe bio und vegetarisch, möglichst umweltbewusst und bin glücklich, wenn ich viele Leute um mich habe! Ich glaube, wenn man in einer Großkommune aufwächst, dann lernt man die vielen Vorzüge dort zu schätzen und sucht sich auch weiterhin immer wieder Möglichkeiten, um ein sozialeres Zusammensein mit Rücksichtnahme und Verständnis zu leben. Mich begleitet weiterhin eine große Neugierde für alles Neue. Aus der Kommune habe ich durch die Vielzahl an Leuten und die ganz unterschiedlichen Meinungen ein starkes Interesse an anderen Menschen und Kulturen mitgenommen. Kalle, Jg. 1986Wenn ich an die Kommune und meine Zeit in ihr denke, dann denke ich meistens an eine unbeschwerte Kindheit, eine wilde Jugend und jede Menge Spaß! Es ist nicht so, dass mir die Kommune nur positiv in Erinnerung geblieben ist, doch die negativen Erlebnisse (ich erinnere mich da z.B.: an die Sat-Schüssel, Grünkernlaib, das Handy und und und - siehe Kasten Kontroverse) sind ganz klar in der Unterzahl! Als ich vor ca. drei Jahren aus der Kommune zu meinem Vater zog, tat ich das, um auch mal etwas anderes als das wilde, anarchistische Kommuneleben kennen zu lernen - hat nicht geklappt ... Aber ich denke, dass ich sehr gut auf mein zukünftiges Leben vorbereitet bin und eine wunderschöne und ereignisreiche Kindheit verleben durfte - eine Kindheit, die ich auch später mal meinen Kindern bieten möchte, und wer weiß, - vielleicht wird es mich später wieder in ein Wohnprojekt wie die Kommune ziehen. Felix, Jg. 1988Seit ca. eineinhalb Jahren wohne ich nicht mehr in der Kommune. Ich habe gerade ein Auslandsjahr in Indonesien verbracht und bin kurz nach meiner Rückkehr nach Kassel gezogen. Dort wohne ich mit einem guten Freund in einer WG zusammen, besuche eine Fach- Ober-Schule für Kunst und Gestaltung und mache nebenbei ein Praktikum bei der Documenta. Ich komme gerne zum Essen oder einfach mal so in die Kommune zurück und fühle mich auch immer wieder willkommen und zuhause. Während ich in der Kommune gelebt habe, gab es vieles, das mich gestört hat, und vieles, mit dem ich unzufrieden war; z.B. das Essen, wo es wohl mehr um Ökologie als um Geschmack ging; mich hat es gestört, dass immer so viele Menschen um mich waren, mit denen ich eigentlich nichts zu tun haben wollte und von denen ich mir nicht aussuchen konnte, ob ich mit ihnen zu tun haben wollte oder nicht. Oft hat es mich genervt, dass ich schon mit fünf Jahren so politisch korrekt und "ökobiszumgehtnichtmehr" sein sollte. Die Diskussionen um Handys und Satellitenschüssel finde ich bis heute absurd, zumal inzwischen mindestens 10% der Kommunarden, inoffiziell, ein Handy besitzen. Jetzt, wo ich Abstand zur Kommune gewonnen habe, merke ich immer mehr, wie mich das "andere" Aufwachsen in der Kommune größtenteils sehr positiv geprägt hat. Dadurch dass ich oft mit Leuten konfrontiert worden bin, mit denen ich eigentlich nichts zu tun haben wollte, habe ich gelernt mit schwierigen Persönlichkeiten aller Art umzugehen und zusammenzuleben. Ich habe immer mit vielen Leuten gleichzeitig zu tun gehabt und oft nicht nur die Meinung einer einzelnen Person mitbekommen. Dadurch habe ich früh gelernt, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Ich habe in der Kommune gelernt, mein Handeln und Tun abzuwägen, und darauf zu achten, was ich selbst für richtig bzw. nicht für richtig halte; ich habe gelernt auf meine Mitmenschen und meine Umwelt zu achten und zu schauen, inwieweit mein Handeln andere beeinflusst und was es bewirken kann; im positiven wie im negativen Sinne. Ich habe sehr viel für mein Leben gelernt, was ich im Zusammenleben mit meinem Mitbewohner, an der Arbeit und in der Schule immer deutlicher merke. Auch wenn ich vieles gerne auf andere Weise gelernt hätte, habe ich in der Kommune doch sehr viel über mein Leben, das Leben anderer und das Leben an sich erfahren. Ich bin stolz darauf, sagen zu können, hier aufgewachsen zu sein, und ich möchte den Menschen, die meinen Werdegang auf solch positive Weise beeinflusst haben, dafür danken. Alle Fotos: 20 Jahre Kommune. Momentaufnahmen aus Niederkaufungen. Kaufungen 2007 KONTROVERSEN2002 gab es eine heftige Kontroverse, einige Jugendliche wollten eine Satellitenschüssel installiert haben, um mehr Programme empfangen zu können, während insbesondere ein Kommunarde dies vehement ablehnte. Schlussendlich wurde eine Satellitenschüssel installiert. Beim Streit um Handies 2001 ging es darum, keinen Elektrosmog einzufangen. Es wurde sich darauf geeinigt, dass Handys im und um den Gemeinschaftsraum weiterhin tabu sind, ansonsten sind sie nur dann erlaubt, wenn sich niemand im näheren Umfeld gestört fühlt. |
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