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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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CONTRASTE

Aus CONTRASTE Nr. 277 (Oktober 2007)

UND WER HAT HIER DAS SAGEN?

Unsere Kneipe "Der Spatz"

"Wer ist denn bei Euch der Chef?" "Chef. Wie meinst Du das?" "Na, einer muss doch das Sagen haben, einer muss doch bestimmen wo es langgeht!?" "Nö, eigentlich nicht. Wir haben hier keinen Chef oder Chefin - wir entscheiden alles zusammen. Im Konsens - das heißt, alles wird einstimmig entschieden." "...? - das gibt doch ein heilloses Durcheinander, dann will ja jeder Chef sein. Dann kann ja ein Einzelner alles kippen, wenn er gegen irgendwas ist, auch wenn alle anderen dafür sind. Das funktioniert doch nicht, einer muss doch irgendwie die Richtung vorgeben...?!"

Ralph Stockhausen, Kommune Waltershausen - So erleben wir es in regelmäßigen Abständen immer wieder mit neuen Gästen in unserer Kommune-Kneipe, unserem Tor zur Welt, dem "Spatz".

Menschen, die vielleicht nur mal kurz ein Bier oder einen Kaffee trinken möchten, die nur mal sehen möchten, was aus "ihrer" alten Fabrik, dem "VEB Biggi" geworden ist, interessieren sich für unser Zusammenleben in der KoWa und nicht wenige werden scheinbar zum ersten Mal damit konfrontiert, dass eine größere Gemeinschaft auch ohne strukturelle Hierarchien existieren und funktionieren kann. Ob sie das dann glauben oder für richtig halten ist wieder eine andere Sache.

Solche Szenen sind jedenfalls ein Teil des Salzes in der Suppe, weshalb ich gerne im Kneipenkollektiv mitarbeite. Wir können direkt an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenwelt miterleben, wie unsere Gemeinschaft in der Bevölkerung wahrgenommen wird. Das ist etwas, was mir auf der Baustelle oder im Büro sicher eher selten widerfahren würde. Dafür stehe ich dann auch gerne mal bis früh um fünfe hinter dem Tresen, auch wenn schon seit drei Stunden nur noch zwei Gäste da sind. Da das aber meistens die selben Pappenheimer sind wie immer und mir diese im Laufe der Zeit ziemlich ans Herz gewachsen sind, fühlt sich das Ganze für mich (andere denken da sicher auch anders) oft wie ein gemütliches privates Beisammensein an.

"...dass ihr oben, in der Kommune keinen Chef habt, hab ich ja verstanden, aber die Kneipe hier, das ist doch quasi so was wie ein Betrieb, eine Firma - das braucht man doch so was wie einen Geschäftsführer!"

"Nö, auch hier nicht. Wir sind so drei bis vier Leute, die regelmäßig in der Kneipe arbeiten, und da entscheiden wir auch innerhalb dieser kleinen Gruppe, wie die Speisekarte aussehen soll, welche Bands wir auftreten lassen möchten, ob wir nächsten Monat wieder eine Disco machen oder lieber Karaoke oder nicht doch mal wieder eine Lesung, weil wir die schon lange nicht mehr hatten."

Hierarchiefreiheit in Gewerbebetrieben scheint ebenso ein böhmisches Dorf für viele zu sein, aber es funktioniert trotzdem. Wir treffen uns alle 1-2 Wochen mit unserem Kneipenkollektiv, das aus Frank, Nadi und mir besteht. Meistens wird allerdings auch noch Martin, der eigentlich nicht zum Kollektiv gehören möchte, "zwangskollektiviert". Er kümmert sich an vier von fünf Öffnungstagen um die kulinarischen Genüsse in der Küche und ist deshalb von vielen Entscheidungen unmittelbar oder mittelbar betroffen. In Sachen Speisekartengestaltung z.B. wollen wir ihn natürlich nicht übergehen, da der Koch ja jeden Tag mit den Ergebnissen arbeiten muss.

"Seit wann gibt es die Kneipe denn hier eigentlich schon?"

"Pfff... so zwei Jahre vielleicht ungefähr...? Ja, genau! Im Juni 2005 war hier große Eröffnung, mit Tag der offenen Tür und so..."

"Was, so lange schon...? Komisch, und wieso hab ich das nicht gewusst? Wenn ich gewusst hätte, dass es hier so einen tollen Laden gibt, wär ich bestimmt schon öfters mal da gewesen, aber ich hab erst letzte Woche von Euch erfahren."

Tja, auch das hört man häufiger, aber diese Frage kann ich auch nicht wirklich beantworten. Wir hängen unsere Monatsprogramme an zahlreichen Orten in der Stadt und Umgebung auf, wir legen sie als Flyer in den Geschäften aus, die Konzertplakate hängen in der ganzen Stadt und die Lokalpresse weist eigentlich auch immer auf unsere Veranstaltungen hin.

Wer interessiert und mit offenen Augen durch sein Leben läuft, der müsste eigentlich von uns wissen. Aber auch diese Menschen scheinen langsam aber sicher den Weg zu uns zu finden, denn der Zuspruch wächst in letzter Zeit merklich, wozu sicherlich auch die zahlreicher werdenden Familien-, Weihnachts- und sonstigen Privatfeiern ihren Teil zu beitragen, "locken" sie doch in großer Zahl Menschen zu uns, die von sich aus unsere heiligen Hallen nie aufgesucht hätten.

"Habt ihr auch was von Wolfgang Petry da?"

"Ääh, nö. Leider nicht."

"Und Andrea Berg?"

"Nee, kann ich leider auch nicht mit dienen."

Jaja, der Kultur- und Musikgeschmack mancher Einheimischen ist eher speziell - meiner Meinung nach. Das Beackern des Feldes Kultur wird dadurch nicht eben erleichtert. Es wimmelt in unserer Region nur so von Cover- Bands, und wenn diese bei uns auftreten, ist der Laden auch meistens gerammelt voll. Die Versuche, mal was anderes zu zeigen, junge eigenständige und auch wirklich gute Bands, sind hingegen oft etwas schwierig und die Ärmsten müssen oft genug vor knapp 15 Zuschauern spielen. Wir sind aber voller Optimismus, dass der zarte Spross, den wir in diesen Ort gepflanzt haben, in diesem Jahr noch zur Blüte kommt. Er hätte es verdient.

"...echt, wenn man sich mal überlegt, wie der alte Kasten noch vor drei, vier Jahre ausgesehen hat - alle Fenster vernagelt, alles voller Müll auf dem Gelände, und, und, und...

Wirklich bemerkenswert, wie ihr paar Leute das hier alles in so kurzer Zeit aufgebaut habt, find' ich echt Klasse."

Im "Spatz" bekomme ich wieder Auftrieb, wenn der Alltag mal wieder meinen Blick verengt, wenn mich das Gefühl beschleicht, nichts geht vorwärts, alles geht viel zu langsam. In solchen Situationen ist es oft hilfreich, wenn alteingesessene Waltershäuser erzählen, wie es früher hier aussah und wie froh sie sind, dass die alte Fabrikruine, die ja für viele lange Jahre Arbeitsplatz gewesen ist, wieder mit Leben gefüllt ist, und der Schandfleck sich zu einem Schmuckstück entwickelt.

Junge Leute, die vor Jahren weggezogen sind, kennen das Gebäude nur noch mit vernagelten und zersplitterten Fenstern, wie es bedrohlich, finster und starr mitten in der Stadt saß.

Jetzt gibt es wieder Licht, und wir arbeiten daran, dass es heller wird und nicht wieder verlischt. "Biggi" leuchtet wieder!

KOMMUNE WALTERSHAUSEN 

Die Kommune Waltershausen liegt in Waltershausen am Rande des Thüringer Waldes zwischen Eisenach und Erfurt. Das dreigeschossige Gebäude - eine ehemalige Puppenfabrik - wurde 1907 gebaut und stand seit 1996 leer. Gekauft von dem KoWa e.V. wird es wieder instandgesetzt. Es eignet sich sehr gut für die Verbindung von Arbeiten und Leben. Ziel ist der Aufbau einer Großkommune mit 100 Menschen. Zur Zeit wohnen dort ca. 15 Mitglieder. Neue KommunardInnen werden gesucht.

Info: Kommune Waltershausen, August-Bebel Str. 4, 99880 Waltershausen Tel. (0 36 22) 20 94 92 E-Mail: info(at)kommune-kowa.de Web: www.kommune-kowa.de

JOB, KINDER UND KOMMUNE

Das Dilemma der Außenarbeit

Seit nunmehr anderthalb Jahren wohne ich in der KoWa und seit nunmehr einem Jahr gehe ich nach außen arbeiten - nachdem ich an meinem vorhergehenden Wohnsitz jahrelang vergeblich nach einer Arbeitstelle gesucht hatte. Es war für mich von Anfang an klar, und ich hatte es in meinem Probezeitantrag auch so formuliert, dass ich mich um eine Stelle in der "Außenwelt" bemühen würde. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich so schnell etwas ergeben würde, aber freute mich sehr darüber.

Elke Zuch, Kommune Waltershausen - Jetzt, nach einem erfüllten aber auch anstrengendem Jahr zwischen Kindern, Kommune und Gelderwerb habe ich die Schwierigkeiten und Problematiken, die mit der Außenarbeit einhergehen, ziemlich gut mitbekommen.

Da ist zuallererst und vor allen Dingen, dass meine Arbeitskraft 2-3 Tage die Woche der Kommune nicht zur Verfügung steht. Wir sind eine Gemeinschaft im Aufbau und dementsprechend viel ist zu tun. Während ich KundInnen bediene, Rechnungen schreibe und Bücher auspacke, liegt mir auf dem Gewissen, dass zuhause eigentlich die Kleiderkammer aufzuräumen wäre, die Vorratskammer zu sichten, Briefe und Protokolle für den Verein zu schreiben und wollte ich mir eigentlich nicht mal das Fliesenlegen zeigen lassen, um auf der Baustelle nützlich zu sein? Dazu kommt in meinem Fall noch, dass meine Außenarbeit auch noch anderweitig die Arbeitskräfte meiner MitkommunardInnen bindet, da sie während meiner Abwesenheit meine Kinder betreuen müssen.

Das sind genügend Gründe, um ein schlechtes Gewissen zu haben. Wäre da nicht das Geld, das regelmäßig durch meine Arbeit auf das Gemeinschaftskonto fließt. Geld, das unseren chronisch knappen Kassen sehr entgegenkommt.

Und genau in der Thematik des Geldes sitzt der dicke, fette Haken, an dem viele Gemeinschaften zappeln. Auf der einen Seite haben wir uns auch zusammengetan, um eben dem kapitalistischen Erwerbs- und Wertesystem ein Gegenmodell aufzuzeigen. Wir wollen uns als Gemeinschaft selbst ernähren, durch funktionierende Arbeitsbereiche, durch Selbstversorgung und Tauschhandel. Wir wollen unsere Konsumgewohnheiten hinterfragen und einen ökologischen Lebensstil pflegen. Wir wollen uns nicht abhängig machen von den Bedingungen und Anforderungen des Arbeitsmarktes und/oder des Arbeitsamtes.

Auf der anderen Seite ist es leider - nicht nur bei uns, denke ich - so, dass zu viele meiner MitkommunardInnen Hartz IV, oder ALG II oder was auch immer beziehen und wir uns ständig den Kopf zerbrechen müssen, wie wir mit drohenden 1-Euro-Jobs und anderen Maßnahmen des Arbeitsamtes umgehen. Aber solange wir uns im Aufbau befinden und gewinnbringende Arbeitsbereiche noch nicht eingerichtet sind und wir uns mehr mit dem Ausbau unseres Gebäudes beschäftigen müssen bleibt dies - und die Außenarbeit - die naheliegendste Einnahmemöglichkeit.

Irgendwie müssen wir uns trotz aller hehren Ideale innerhalb unserer geld- und leistungsorientierten Gesellschaft zurechtfinden, das ist meine zugegebenermaßen ziemlich pragmatische Ansicht. Die Kinder brauchen ab und zu neue Schuhe und das Gebäude kostet Steuern. Ich freue mich sehr auf den Tag, an dem meine Kommune so gut gediehen ist, dass wir uns über gewinnbringende Arbeitsbereiche ernähren und erhalten. Dann kann ich mich entscheiden, ob ich weiterhin lohnabhängig arbeite, oder doch endlich das Fliesenlegen lerne. Vielleicht entscheide ich mich auch für meine Lohnarbeit, denn ich tue sie gerne. Ich habe auch einen Chef, der unser Projekt kennt und schätzt und mir problemlos frei gibt für Kommuneintensivtage oder wenn die Kinder krank sind. Also sind meine Arbeitsverhältnisse relativ gut mit den Kommuneansprüchen vereinbar. Aber manchmal möchte ich einfach nicht mehr hin- und hergerissen sein zwischen der Arbeit, die ich gerne tue und der Kommune, in der ich gerne lebe und natürlich last but not least meinen Kindern, die ich liebe.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008