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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Bundschuh

Oh Bundschuh, I love You

Das folgende Interview ist im Juli dieses Jahres (1984) entstanden. Wir hatten uns überlegt, eine Selbstdarstellung der Bundschuh-Druckerei in Form von Interviews mit den einzelnen Bundschuh-Mitgliedern zu verfassen. Die Interviews sind abgeschlossen, teilweise sogar abgetippt, aber die Broschüre über uns gibts nicht. Das ist auch kein schlimmer Mangel. Der Wert der Interviews lag in der Interview-Situation selbst. Mich hat die ruhige, aufmerksame Atmosphäre des Fragens und Antwortens gefreut. Die Tatsache, dass mein Gegenüber sich Zeit für mich nimmt, mir Zeit läßt und ZUHÖRT, und daß wir uns, - obwohl wir uns drei Jahre lang kennen - neues zu sagen haben, war wohltuend. Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie mir diese Aufmerksamkeit im täglichen Miteinander fehlt. Trotz des Wunsches/ Anspruchs, eine menschenwürdige, herrschaftsfreie Arbeitssituation zu schaffen, bestimmen allzuoft Hektik, Streß, Funktionalität, Unpersönlichkeit und Konkurrenz unseren Umgang. Aber wir lernen dazu.

Ich wünsche Euch allen ähnlich gute Erfahrungen in Eurem Kollektiv.

Heiner

P.S. Wundert Euch nicht über den abrupten Schluß des Interviews. Ich mußte aus Platzmangel mitten drin abbrechen. Vielleicht findet der Rest des Gesprächs in einer der nächsten Nummern des Wandersblatts noch Platz.

I.: Die erste Frage: Wie bist du zur Druckerei gekommen?

H..: Ich hab vorher schon in mehreren Betrieben gearbeitet und die Bundschuh-Druckerei kenn ich seit ihrem Bestehen. Zur Zeit der Gründung von Bundschuh war ich noch in Berlin und jedesmal, wenn ich nach Freiburg gekommen bin, hat der Ch. mich angehauen, ob ich nicht endlich wieder nach Freiburg kommen wollte und im Bundschuh arbeiten. Und da hatte ich aber keine Lust mein ganzes Leben in Berlin aufzugeben und wegen Bundschuh nach Freiburg zu kommen, und außerdem was da am Anfang war, das war so ne kleine Popeldruckerei, und da wollte ich auch nicht drin arbeiten. Später dann bin ich sowieso von Berlin nach Freiburg gezogen und hab für die Berliner Firma in Freiburg noch ne Weile weitergearbeitet, bis ich festgestellt hab, daß es mir so keinen Spaß macht und - da kam noch mehr dazu, ich bin krank geworden und hab dann beschlossen aus dem Job auszusteigen und mir ne alte Sehnsucht zu erfüllen, in einem Kollektiv zu arbeiten.

I.: Gleich die nächste Frage, nämlich was du unter einen Kollektiv verstehst eigentlich. Besser gesagt, was vor deinem Einstieg in die Druckerei Kollektiv bedeutet hat und was jetzt, falls sich da Veränderungen ergeben haben.

GLEICHBERECHTIGUNG

H.: Also, so prinzipielle Veränderungen haben sich eigentlich nicht ergeben. Kollektiv hat für mich bedeutet, bevor ich im Bundschuh gearbeitet hab, privates und berufliches und politisches Leben miteinander zu verbinden. Das war ja auch so ein Punkt unter dem ich vorher in den normalen Betrieben gelitten habe, daß eben von mir während der Arbeit was ganz anderes gefordert worden ist als was ich von mir selber eigentlich verlangt habe im Umgang mit Menschen. Vorher konnte ich kollektive Vorstellungen, Vorstellung vom Umgang gleichberechtigter Menschen, die konnte ich eigentlich nur im Privatleben nach Feierabend verwirklichen, also Wohngemeinschaft und solche Sachen oder politische Gruppen oder so was ähnliches. Ich wollte die Trennung aufheben, weil ich der Meinung war, daß diese Trennung auch Ursache meiner Krankheit war, die ich dann hatte, und da hat sich im Prinzip jetzt auch nicht viel verändert an der Vorstellung. Kollektiv ist für mich immer noch ein gleichberechtigter Umgang ,von Menschen in einem Arbeits- und Lebenszusammenhang. Was allerdings - es hat jetzt ne andere Gewichtung gekriegt: Dieser gleichberechtigte Umgang miteinander ist jetzt Alltag, ist jetzt selbstverständlich, dadurch, daß es keine Hierarchie und so autoritäre Strukturen gibt. Was vielmehr in Vordergrund tritt inzwischen ist die Verschiedenartigkeit der Leute, die bei Bundschuh zusammenarbeiten und - ja, das Wort gleichberechtigt bekommt in diesem Zusammenhang einen anderen Klang weils nicht mehr drum geht, daß alle das gleiche machen oder machen können, sondern daß die unterschiedlichen Personen, die da zusammenarbeiten, daß die in ihrer Unterschiedlichkeit gleichberechtigt sein können, und das ist also so ne Fragestellung, die war mir vorher nicht klar.

I.: Könnt man zurückbeziehen und sagen, weil ihr so ungleich seid, daß da Gleichberechtigung gar nicht so viel hilft?

H.: Ich versteh jetzt nicht was es helfen soll.

I. : Also, daß der Umgang angenehmer ist, daß die Arbeit weniger Mühsal ist, daß man eben schneller zu Entscheidungen kommt, weil sich eben alle beteiligen dran und daß es ohne weiteres durch so was Formales wie Gleichberechtigung gar nicht gewährleistet ist.

H.: Da hab ich noch immer Schwierigkeiten mit der Frage. Also ich empfinde, diese Gleichberechtigung, die ist ja nicht formal, für mich sieht Gleichberechtigung jetzt und heute im Bundschuh so aus, daß schon bei Entscheidungen nicht jede Stimme das selbe Gewicht hat, aber daß in die Entscheidungen die einzelnen Stimmen in jedem Fall mit einfließen müssen. .. Das war jetzt hochgestochen! ! !

ALLTAG

I.: Was machst du den ganzen Tag, vom Arbeitsablauf. Also ein typischer Tag des H. im Bundschuh.

H.: Ja, also ich komm morgens erst mal rein und begrüß den R. Meistens kurz und sachlich wie es so unserer Art entspricht; ja und dann geh ich rüber in die AV und dann geht’s auch schon los. AV heißt Arbeitsvorbereitung. Charakteristisch find ich, daß es keine Anlauf- und Abklingzeit gibt bei der Arbeit, die ich mach, sondern daß ich morgens so das Gefühl hab, ich spring mit beiden Beinen rein ins volle Menschenleben, weil, wenn ich ankomme ist es so meistens halb zehn, dann liegt schon irgendwas auf dem Schreibtisch oder ist ne Frage aus der Produktion da und ja, da reicht es gerade noch sich einen Kaffee einzugießen und dann fängt der Alltag an. Alltag, das heißt Aufträge annehmen, mit Kunden sprechen, für den Ablauf der Aufträge zu sorgen, Fragen beantworten, wenn irgendwas nicht ganz klar ist, wie etwas gedruckt, gesetzt, montiert, layoutet oder weiterverarbeitet werden soll. Das bedeutet Organisationsarbeit, d.h. Papier bestellen, mit dem Buchbinder Termine abmachen und gemachte zu verschieben und zwischendurch, da freu ich mich richtig, wenn es mal eine kleine Ruhepause gibt, wo ich dann meinen Schreibtisch aufräumen kann oder Ruhepausen, die ich mir einfach auch manchmal ziemlich gewaltsam nehme.

D.h., wenn jemand kommt, der mir wichtig ist, ein Kunde oder ein Bekannter, daß ich mich dann halt auch mal ne Viertelstunde hinsetze bei ner Zigarette und ner Tasse Kaffee, um irgendwas zu reden, was jetzt nicht nur mit Technik und Funktionieren zu tun hat. Und das läuft so den ganzen Tag, oftmals auch über die Mittagspause rüber, weil ich selten Mittagspause mache, z.T., weil ich nicht unbedingt das Gefühl hab, grad um diese Zeit Hunger zu haben, z.T. weil das Essen in der Fabrik auch nicht immer so ansprechend ist, und das geht dann bis abends um sechs, manchmal auch kürzer, mal länger, und so am nächsten Tag wieder weiter.

I.: Von Haus aus bist du ja erstens Setzer und zweitens auch in der Druckerei Setzer gewesen. Das frag ich jetzt, weil ich das zur Zeit nicht weiß. Bestehen keine Chancen, daß du in den Satz zurückgehst?

H.: Von der Lust her schon, aber vom Arbeitsablauf gehts nicht, weil im Moment niemand da ist, der dann für mich entsprechend AV machen könnte. Aber ansonsten find ich Satz oftmals ne ziemlich reizvolle Geschichte, weil das Umfeld so klar ist, also die Verantwortlichkeit; ein abgesteckter Rahmen, der geht eben von der Abnahme des Manuskriptes bis zur Abgabe des Satzes und die Maschinen sind klar und ich hab auch das Gefühl, daß im Satz die meisten meiner Erfahrungen liegen und damit kann ich am leichtesten umgehen.

GELD/MONEY/KNETE

I.: Für die von dir beschriebene relativ aufreibende Arbeit bekommst du 900,- DM im Monat, du bekommst noch 100,- mehr für ein Kind.

H.: Seit letzten Mittwoch nochmal 100,- mehr.

I.: Also, das wären 1.100,- DM. Ich frag dich nicht, das reicht natürlich nicht, wie gehst du damit um?

H.: Das reicht ja, ich leb ja. Nee, ich würd das so sagen: Als ich bei Bundschuh anfing, ging man noch aus von 1.200 DM netto und das war für mich natürlich auch ne Frage, komm ich mit 1.200 DM netto aus. Meine Freundin und ich haben uns das damals überlegt und sind eigentlich zu dem Schluß gekommen: Gut mit 1.200 DM netto kann man auskommen und hatten natürlich die Hoffnung, die hab ich immer noch, daß es Bundschuh eines Tages wirtschaftlich so gut geht, daß wir uns auch einen ganz stinknormalen Facharbeiterlohn ausbezahlen können. D.h. von meinen Bedürfnissen und Wünschen her würde ich gern so 2.000 DM netto verdienen, aber es geht mit diesen 1.100 Mark. Meinen Lebensstandard, was so Kinkerlitzchen betrifft: Ausgehen, Essen gehen, Kino gehen, Schallplatten kaufen, Konzerte besuchen, den hab ich ziemlich reduziert, aber das ist mir auch nicht so schwer gefallen.

I.: Du hast ja auch genug Platten, so viel ich sehe.

H.: Ja stimmt, aber so ne Sammlung hat es an sich, daß man ihren Wert dadurch erhält, indem man sie immer wieder erneuert und ergänzt, also das ist das Schöne dran.

I.: Und das geht jetzt natürlich nicht mehr.

H.: Nee, das geht nicht mehr. Ich hör Radio und versuch mir darüber über Kassetten die interessanten Sachen zu holen.

I. : Wenn dir jetzt ne besser bezahlte Stelle angeboten würde, gleicher Arbeitsaufwand, kein Kollektiv natürlich, 2.000 DM netto, kämmst du da in Schwierigkeiten oder würdest du gar gehen?

H.: Nee, ich bin sicher, wenn ich mich jetzt um eine besser bezahlte Stelle kümmern würde, würde ich die auch kriegen innerhalb von zwei bis drei Monaten und die Frage hab ich mir andersrum auch schon gestellt, also: bringts der Nerv und das wenige Geld, soll ich mich nicht wieder zurückbewegen in die andere Arbeit und halt mehr Geld verdienen und auch mehr Geld ausgeben können? Aber bis jetzt ist die Antwort immer klar gewesen, ich bleib im Bundschuh.

I.: Wäre das für dich auch so klar, wenn du nicht die Hoffnung hättest, von der ich annehme, daß du sie hast, daß ihr finanziell eines Tages ein bißchen stabiler dasteht.

H.: Also. wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß wir das schaffen, wirtschaftlich auf besseren Beinen zu stehen, dann wär ich höchstwahrscheinlich schon wieder weg vom Bundschuh.

I.: Das heißt aber umgekehrt auch, daß du schon erwartest, daß sich da was verändert.

H.: Ja, absolut.

GEWERKSCHAFT

I.: H. du warst ja gewerkschaftlich mal aktiv und du bist ja noch immer in der Gewerkschaft, wie stehst du zur 35-Stunden-Woche?

H: Ach!!, mindestens!

I.: Die Druckerei hat sich ja überlegt, ob sie ein Solidaritätstelegramm an die arbeitende Klasse, metallverarbeitenden und Druckbetrieben schicken soll, aber das ist ja nicht gemacht worden.

H.: Nee, das ist nicht gemacht worden. Ich bin auch gefragt worden, ob ich das nicht losschicken könnte und ich glaub schon, daß ich derjenige bin, der noch am meisten Bezug dazu hat und das auch noch am ehesten formulieren könnte, aber ich habe praktisch, seit ich im Bundschuh bin, mit Gewerkschaft nichts mehr zu tun gehabt, außer meinen Mitgliedsbeitrag zu bezahlen und das ist irgend wie eine andere Welt. Also ich verstehs, was die Leut da so treiben, kann auch ihre Sehnsucht verstehen nach einer 35-Stunden-Woche, die hab ich ja auch: aber ich habe damit nicht mehr soviel zu tun. Das gehört auch zu dieser Vergangenheit, wo ich in der normalen Wirtschaft gearbeitet hab und wo das auch ne andere Bedeutung hatte. Und jetzt ist das so: Ich würde mir wünschen, daß wir zu den Gewerkschaften ein recht freundschaftliches Verhältnis hätten, so auf der Ebene, daß wir wieder mehr Kontakt zu Gewerkschaftlern und zum gewerkschaftlichen Leben haben und von der anderen Seite her, daß die Gewerkschaften sich dafür interessieren was eigentlich in einem Kollektiv läuft, und was es bedeutet selbstorganisiert zu arbeiten.

I.: Du glaubst also, daß das was ihr macht für die Perspektiven der Gewerkschaften oder Gewerkschafter interessant sein können.

H.: Also, für die Gewerkschafter im Großen und Ganzen, glaub ich nicht, weil die stellen sich nichts vor, was über diesen Arbeitskampf rausgeht. Sie sind im Prinzip so mit der Gesellschaft, mit der Aufteilung in Kapital und Arbeit, einverstanden und sehen halt ihre Aufgabe darin, sich nicht allzusehr übers Ohr hauen zu lassen was die Bezahlung ihrer Arbeit angeht, oder etwas fortschrittlichere Gewerkschafter, die möchten mehr Rechte und mehr Anteil an der Bestimmungsgewalt haben und dann gibts natürlich auch noch so linke Gewerkschafter, das sind die, mit denen ich in Berlin zusammengearbeitet habe, die sich schon eine andere Gesellschaft vorstellen, also die irgendwelche Träume und Vorstellungen von Sozialismus oder so was haben, und ich glaub, daß die sich im Prinzip schon dafür interessieren was in Kollektiven läuft. Denn, wenn sie sich ihre Vorstellungen genau mal durchdenken: also ne Gesellschaft in der die Arbeit nicht hierarchisch organisiert ist, wo nicht die Trennung zwischen Kapital und Arbeit da ist, wo die Betriebealle selbstbestimmt arbeiten sollten, dann müßte eigentlich auch klar sein, daß nicht durch eine Revolution oder ne Umverteilung des Kapitals die Menschen plötzlich total anders werden und ich denk mir, daß die auch ne freundliche Neugier haben, was so in Kollektiven abläuft, solange die Kollektive nicht so klein und poplig sind. Weil: die Vorstellung, daß eine Gesellschaft funktionieren könnte mit Betrieben, die so drei / vier Frauen / Männer umfassen und auf einer ganz reduzierten technologischen Ebene sich bewegen, die teilt bestimmt kein Gewerkschafter und ich auch nicht. Das war auch ein Grund warum ich vorher nicht schon in Kollektive gegangen bin. Einmal hab ich einen An- lauf gemacht, aber ich wollt immer in einem Kollektiv arbeiten, das mit einer Technik, einer Technologie arbeitet, die mithalten kann.

I.: Mir fiel nur eines auf, daß du gesagt hast, diese Gewerkschafter, diese Linken, die da ne Revolution oder bloße Umverteilung von Kapital wollen - ich denk, daß linke Gewerkschafter das schon auseinanderhalten würden, ob man nur die Verhältnisse beläßt und anders verwaltet oder ob man wirklich die Revolution will und das hieße natürlich, daß man nicht nur das Kapital neu organisiert und nicht an die Abschaffung des Kapitals denkt. Also ich denk so, daß wir eigentlich im Kollektiv, wenns funktioniert, auch unseren Frieden mit der Gesellschaft machen - die berühmte Metapher von der Insel, wo man sich dann so einigermaßen wohlfühlen kann, aber eigentlich weder großen Einfluß auf sich noch auf andere üben kann.

H.: Das wär ja toll, wenn das ginge und wenn die Gesellschaft uns das lassen würde, aber da wir uns mitten reingesetzt haben in die Gesellschaft, in den Konkurrenzkampf geht das einfach nicht, packens wir nicht, den Frieden zu schließen.

I.: Man könnte sagen, ob ihr das Falsche wollt oder nicht, wir müssen letztlich eh das Richtige machen - oder nicht?

H.: Ja, wir waren insofern realistisch, indem wir uns eben nicht auf ne Insel begeben haben.

I.: Mich würd das noch genauer interessieren - du hast gesagt, du warst in der Gewerkschaft in Berlin aktiv - was du vorher so im weiteren Sinne politisch gemacht hast inwiefern du da eine Kontinuität siehst hin zur Druckerei.

KONTINUITÄT/VERÄNDERUNG

I. : Also ich setze mal voraus, daß mehr oder weniger alle, die hier arbeiten mal in anderen Zusammenhängen das gemacht haben, was als politische Praxis oder zumindest politisches Denken gilt, und das würd mich auch bei dir interessieren, wie du da ne Linie siehst oder auch einen Bruch.

H.: Ich seh in erster Linie eine Kontinuität. Meine politische Entwicklung hat angefangen mit dem ganz großen Bruch mit allem. Mit der Kirche, mit dem Elternhaus, mit der Gesellschaft. Das war zur Zeit der Schülerbewegung, Studentenbewegung und das war das Gefühl, allem eine Absage erteilen zu können und ganz neu mit was anfangen zu können, mit neuen Wohnformen, neuen Lernformen, mit neuen Formen des persönlichen Umgangs miteinander, neuen Formen, der Sexualität usw., usw. Und das war so eine Zweiteilung damals in eine politische Ebene, die sich in erster Linie darin erschöpft hat Demonstrationen zu machen, irgendwelche Aufklärungsarbeit zu leisten in Form von Flugblättern oder Ständen oder so was ähnlichen und in eine persönliche Ebene, d.h., zusammenleben mit Leuten, sich selbst verändern; und wenn ich jetzt so zurückblicke, war da ne ziemliche Kluft zwischen diesen beiden Ebenen, obwohl wir versucht haben, das zu verbinden. Das, was wir auf der politischen Ebene gesagt und gewollt haben, Vorstellungen gehabt haben, da hatten wir überhaupt keine Möglichkeit zu kontrollieren oder zu erfahren wie das ist, wenn man das umsetzt, was auf der persönlichen Ebene durchaus ging und da hats auch die Schwierigkeiten gegeben. Es war nicht schwierig durch die Straßen Freiburgs oder Berlins zu ziehen und Forderungen zu erheben, aber es war schwierig, sich selber plötzlich in einen anderen Rahmen zu begeben und mit mehreren Leuten zusammenzuleben und Beziehungen nicht mehr so als reine Zweierbeziehungen zu sehen, sondern, na ja der alte Satz ist ja auch noch bekannt: »wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment«. Der war zwar da, aber den hat eh keiner richtig ernst genommen, weil spätestens nach der dritten Woche hat das nicht mehr hingehauen, und eine nächste Stufe war für mich - da hat mir das Aufkommen der K-Gruppen ziemlich geholfen dabei, auch das Politische irgendwie greifbarer zu machen - ich bin in einen Betrieb gegangen, hab erstmal so rumgejobbt und dann eine Ausbildung gemacht und hab mit der Zeit auch noch mehr Abstand genommen von dem, was die K-Gruppen so an politischen Allgemeinheiten von sich gegeben haben, weil / mich immer stärker fasziniert hat, was ich eigentlich machen kann.

Der nächste Schritt war dann verstärkte Gewerkschaftsarbeit, Betriebsratsarbeit und jetzt eben Arbeit im Kollektiv. Da gibts nichts, wo ich irgendwie was fordern könnte von jemandem, der mir das verwehrt oder verbietet oder Dank seiner Eigenschaft als Besitzer die Macht hat, mir kommt es darauf an was ich mache, was ich sehe, was ich verändern will, ob ichs verändern kann und gleichzeitig aber auf der anderen Seite so ne relativ als statisch erlebte Gesellschaft, wo ich mir im Moment eh keine großen Gedanken mach, wie man sie jetzt verändern kann. Mein Weg ins Kollektiv war ein Weg zu mir hin, zu mir als Person, als Privatperson und berufliche Person und was immer weniger Bedeutung oder Faszination bekommen hat, das war der Versuch auf einer größeren politischen Ebene etwas zu verändern.

I.: Wenn man das jetzt ideologisch übersetzen würde, könnte man dann nicht sagen, daß es darauf hinausläuft, daß du schon eher sagst, die Leute müssen sich verändern, die Menschen müssen sich verändern und nicht die Verhältnisse. Das ist wieder der alte, vielleicht Scheinwiderspruch, der oft betonte Widerspruch, daß man halt sich verändert, indem man die Verhältnisse verändert - daß der einer Praxis gewichen ist, die befriedet ist.

H.: Wenn du das fragst, dann glaub ich, daß beides sich verändern muß. Und ich glaub auch, daß die Veränderungen des einen und des anderen, daß die in einem inneren Zusammenhang stehen, d.h., daß nur Leute, die bereit sind sich selbst zu verändern in der Lage sein werden eine Gesellschaft zu verändern - und umgekehrt, daß gesellschaftliche Veränderungen, die ja täglich ablaufen, auch wieder die Menschen verändern; und irgendwo in diesem Feld bewegt sich jeder von uns, ob er es will oder nicht und ich machs jetzt halt hier im Kollektiv.

POLITIK + PERSON

I.: Trotzdem, noch ne letzte Frage zu dem Thema, die Geschichte, die du beschrieben hast, die frühe Studentenbewegung oder die erste sozialrebellische Bewegung hin zu den K-Gruppen, das war ja auch ne Bewegung, die erkannt hat, ohne es vielleicht zuzugeben, daß vieles eben eine Machtfrage ist. Man kann natürlich, was man denkt, gar nicht testen. Und wenn mans nicht testen darf, daß es verwehrt wird auszuprobieren, was man gerne hätte und ich stell mir vor, es ist schwierig, sich das zuzugeben, daß man ohnmächtig ist auf diesem Feld. Und ich frag mich wo wir jetzt eine Chance haben neue Ideen praktisch umzusetzen. Was wir erstmal so ökonomisch machen und in Berührung zu unserer Umwelt, da ist diese böse Kritik an den Alternativbetrieben, daß sie ökonomisch Mittelstandsbetriebe sind, richtig.

H.: Ich find', sie sind im besten Falle Mittelstandsbetriebe, aber ich empfind das nicht als eine Kritik, sondern als eine reale Einschätzung, genauso wie jeder der politisch was macht, auch eine reale Einschätzung von sich selber haben muß: was ist er, was macht er. Nicht an den Zielen, die er hat oder was er irgendwann mal erreichen will, sondern was ist er jetzt. Da st er eben ein Arbeiter oder ein Angestellter oder ein Ausgestiegener oder er ist sonst was, d.h. er ist faßbar in den Kategorien, die die Gesellschaft jetzt bietet.

I.: Aber was passiert, wenn er es nicht bleiben möchte und ich find', daß es schon eine sinnvolle Sache ist, sich Ziele und Zwecke zu setzen. Z.B. zu sagen, ich möchte - ich seh das jetzt nur als reale Möglichkeit im Augenblick das zu machen, was ich mach - aber ich möchte was anderes; und da seh ich eigentlich keinen Weg mehr, auch übers Kollektiv nicht. Ich könnt's auch einfacher fragen: woher Du die Hoffnung nimmst, daß wir aus diesem relativ geschützten Bereich des Kollektivs, der Fabrik, daß wir da je wieder gesellschaftlich relevant werden können!?

H.: Ich halt' es für eine Illusion, sich ein Ziel setzen zu können, zu sagen, ich bin jetzt hier -und da will ich hin. Das was Du im Moment bist und was Du im Moment willst, das bestimmt auch Deine Vorstellung von dem, was Du sein möchtest und werden möchtest. Und jetzt nur mal angenommen, es würde Dir gelingen, das zu werden, was Du Dir vorgenommen hast - dann gibt's keine Garantie dafür, daß Du mit dem, was Du geworden bist, auf dieser neuen Ebene dann auch zufrieden bist; weil das ja ein Ziel ist, was Du aufgrund von einem anderen Bewußtsein gesucht hast. Deswegen kann ich für mich und für uns jetzt auch keine Ziele ganz weit nach vorne projezieren, sondern ich versuch', mich darin zu üben, zu beschreiben - möglichst real zu beschreiben, was jetzt ist, und das was daraus entstehen könnte als Nächstes.

Alles was weiter darüber hinaus geht, empfinde ich als Träume – auch im positiven Sinne - aber Träume haben eben so wenig reale Qualität, daß sie sich auch verändern.

I.: Ich hab allerdings gar nicht so sehr Träume gemeint. Weniger die Frage: ich möchte ein anderer sein. Das halt' ich auch für sehr krampfhaft. Also nehmen wir ein Beispiel aus der Ökologie - Also wenn man davon ausgeht: Das Wasser ist giftig, dann ist das Ziel, es möge ungiftig sein, sehr einfach und berührt die Frage meiner Person oder meiner Entwicklung eigentlich gar nicht. Es ist eine sehr einfache Sache, daß gutes Wasser mir bekömmlicher wäre. Wenn man also den Vergleich sich leisten könnte zu sagen, die Verhältnisse, die man jetzt kapitalistisch oder imperialistisch nennt, die sind, wenn sie erkannt sind, genauso unerträglich und unvereinbar mit dem was jeder Mensch wohl im Grunde will, - dann seh' ich da kein Problem außer zu sagen: Ich komm einfach nicht hin an das Ziel.

H.: Also ich empfinde das, was du vorhin gesagt hast vom Wasser, das ist so ein Traum, wie ich vorhin Traum beschrieben hab: Ich möchte gern daß das Wasser nicht mehr giftig ist - das kannst Du ja auch erweitern, das reicht Dir ja nicht - Du möchtest gerne in einer Umgebung leben, wo klare Bäche durch grüne Wiesen plätschern und wo Du Dich hinlegen kannst und aus dem Bach trinken.

I. (lacht): Ich glaub', Du machst jetzt aber einen Trick, nämlich daß Du eine romantische Phanthasie überstülpst, über was ganz Rationales, was ich eben gemeint hab'. Also ich glaub tatsächlich, daß dieses Bewußtsein, daß wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, daß ich mich vergifte, das reicht schon aus, um gutes Wasser zu wollen, und daß das was viele Grüne haben, bestimmte romantische und patriotische Gefühle, daß das nicht nötig ist, um Vernunft zu mobilisieren.

H.: Also gut – dann lassen wir die ganze Romantik weg und sagen einfach: Gut, wir wollen sauberes Wasser haben! Aber auch das ist noch auf der Ebene von Wünschen, Träumen und sonstwas.

Real wird es ja in dem Moment, wo Du versuchst, das umzusetzen...

I.: Ja.

H.: wo Du anfängst damit, was zu unternehmen, damit das Wasser wieder sauberer wird.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 02. Oktober 2008