Zu ungleichmäßige Auslastung:
Rasante Berg- und Talfahrt eines Kollektivs
Der folgende Artikel soll widerspiegeln, mit
welchen Fragen wir uns seit einigen Wochen ansatzweise auseinandersetzen.
Auseinandersetzen deshalb, weil wir plötzlich nach Monaten der
Produktionsauslastung von einem Tag auf den anderen Flaute haben. In dieser
Situation ist dieser Artikel entstanden, der kein Ergebnis unserer Diskussion
ist, vielleicht auch keine Hilfe für andere Kollektive in ähnlichen
Situationen darstellen kann, sondern nur die Überlegungen aufzeigt, die sich in
unserem Kollektiv zeigen und sicher nicht von allen so geteilt werden. Es sind
erste Gedanken, die auf ihre Richtigkeit noch geprüft werden müssen.
Unser Anspruch
Theoretisch ist uns klar, daß wir versuchen und natürlich auch praktisch
zeigen wollen, daß wir andere menschengerechtere Formen des täglichen
Broterwerbs entwickeln. In der Realität führen diese Überlegungen dazu, daß
das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben und in Kollektiveigentum
der im Betrieb arbeitenden Menschen übergeht, das wichtige Entscheidungen vom
Anspruch her kollektiv getroffen werden, das wir unseren politischen Anspruch
auch in der Arbeit dadurch versuchen umzusetzen, daß wir nicht für jeden
Kunden arbeiten und Aufträge nach ihrer politischen Intention selektieren. Das
„normale" Kunden-Druckereiverhältnis soll sich zugunsten eines „solidarisch-miteinander-umgehens"
verändert werden, und nicht zuletzt wollen wir praktisch demonstrieren, daß es
möglich ist, auch innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems eine eigene
Ökonomie zu entwickeln, die trotzdem und oftmals besser funktioniert und mit
dazu beitragen kann, dieses System zu verändern.
Ernüchterung
Gemessen an der täglichen Praxis zeigen sich allerdings Widersprüche, die
uns dazu zwingen, unsere eigenen Ansprüche und Ziele mit der Alltagsrealität
zu vergleichen und verwertbare Ergebnisse daraus zu ziehen. Wir haben in unserem
Betrieb die Erfahrung gemacht, daß nicht bewußt genug mit unseren Ansprüchen
und Zielen umgegangen wird. Das liegt wohl in aller Regel daran, daß wir in
Hochkonjunkturzeiten mit starkem Termindruck genauso funktionieren müssen wie
normale kapitalistische Druckereien auch. Der Produktionsablauf muß
störungsfrei und fließend sein, die Produktion aller Mitarbeiter nähert sich
an die Schwelle des Akkords. Solche ein Ablauf verselbständigt sich sehr
schnell, entwickelt eine eigene Dynamik und verhindert durch die zu geringe
Zeit, die bleibt, um sich innerhalb des Kollektivs auch mit uns selbst zu
beschäftigen, eine kritische und genaue Reflektion der betrieblichen Situation,
wirtschaftlich und auch ideologisch. Auf ökonomischer Seite ist es oftmals
schwierig, einen genauen Überblick über die reale Situation zu bekommen, die
sich aus vielen Teilbereichen zusammensetzt. Dieser Prozeß fällt
schwerpunktmäßig in den Verwaltungsbereich, der bei uns nur am Rande neben
allen anderen Arbeiten abgedeckt wird. Die meisten kleineren Kollektive können
es sich finanziell nicht leisten, einen Kollegen nur für den Verwaltungsbereich
abzustellen, der dann in der direkten Produktion fehlt oder aber zusätzlich ins
Kollektiv aufgenommen wird. Daß eine Entscheidung für solche eine
innerbetriebliche Organisation manchmal sogar existenzsichernd sein kann, will
ich kurz aufzeigen. Bei uns zeigt es sich tagtäglich, daß Unzufriedenheit
dadurch entsteht, daß Kollegen neben ihrer Tätigkeit in der direkten
Produktion, die ein Höchstmaß an Konzentration und Kontinuität erfordert,
sich so nebenbei um die Kunden kümmern müssen, Rechnungen schreiben, Werbungen
entwerfen, Steuern machen. Alles Teilbereiche, die für sich genommen genauso
wichtig sind, wie der Druckbereich oder die Repro.
Ich will dies kurz an den Bereichen Kundenbetreuung, Angebote und Werbung
festmachen. Es darf von uns nicht verkannt werden, daß Kunden speziell dann,
wenn sie bewußt mit ihrer Drucksache zu einem Kollektivbetrieb kommen, auch
eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf den Umgang mit ihnen haben, die ja
auch theoretisch unseren Ansprüchen entgegen kommt.
Brauchen Kunden Zuwendung?
Auch „Scene-Kunden" brauchen das Gefühl, daß wir ihre vielleicht
noch so kleine Drucksache sehr ernst nehmen und uns intensiv mit ihr befassen.
Groß ist dann wohl die Enttäuschung, wenn im Schnellgang sein Auftrag von
einem Kollegen angenommen wird, der entnervt aus seiner Produktionsarbeit
gerissen wurde und verständlicherweise keine Zeit hat. Daß dieser Kunde dann
beim Schnelldruck landet, weil der Kleinunternehmer hinter seiner Theke mehr
Zeit für ihn hat, ist vielleicht zu verstehen, auch wenn solch eine
Entscheidung nicht von einer konsequenten Bewußtseinshaltung zeugt. Ähnlich
sieht es mit der Angebotsarbeit aus. Bei uns werden dann, wenn der Streß groß
ist und wir genug zum Drucken haben, kleine Anfragen, die spezielle Dinge wie
Preise für verschiedene Auflagen bei verschiedenen Seitenumfängen haben, nicht
oder aber sehr spät behandelt, weil die Zeit fehlt, sich eine Stunde für die
Kalkulation eines 200-Mark-Auftrages hinzusetzen.
Oberflächkeit
Und mit der sehr notwendigen Werbung sieht es ähnlich fatal aus. Jeden Monat
vor Redaktionsschluß der diversen Zeitungen die gleiche Hektik bei der Frage,
wie unsere Anzeige aussehen soll. Da wird dann mangels guter Einfälle irgend
was lay-outet und reingesetzt. Oftmals so wenig ansprechend und auffällig
gestaltet, daß sie einfach überblättert wird. Wenn dann bei uns plötzlich
von einem Tag auf den anderen Auftragsflaute herein bricht, frage ich mich
oftmals, ob das nicht auch eine Konsequenz aus diesen Oberflächlichkeiten ist.
Sicher ist der Einwand richtig, daß Flauten primär andere Ursachen wie z.B.
das Ende eines Wahlkampfes, Schulferien etc. haben. Doch glaube ich schon, daß
die obigen Fehler auch ihren Stellenwert haben, würden wir doch gerade jetzt
gerne all die kleinen Aufträge haben, um wenigstens unseren Minimalumsatz zu
erreichen. Und dann zeigt sich für uns die Schwierigkeit, diese
existenzbedrohende Situation auf ihre Ursachen hin zu untersuchen.
Blockierte Entwicklung?
Solche Flauten zehren stark an der oftmals schwachen Finanzdecke der
Kollektive und führen immer wieder dazu, daß Überschüsse aus guten
Auftragszeiten aufgebraucht werden. So fehlt dann das Geld für die
notwendigsten Investitionen, die zu einer Weiterentwicklung oder
Aufrechterhaltung der Produktion und ihrer Formen notwendig wären. Wir haben
die Erfahrung gemacht, daß wir in den fast 4 Jahren Druckerei nie in der Lage
waren, selbst mittlere Investitionen auch nur teilweise durch Rücklagen
abzudecken. Dies führt dazu, daß Investitionswünsche immer wieder in die
Zukunft verlegt werden, verbunden mit der Hoffnung, daß sich unsere
finanziellen Probleme irgendwie schon selbst lösen werden. Nur bedeutet dieses
auch weiter, genauso zeitintensiv und auch unrentabel zu produzieren und
fehlende Maschinenleistung und Kapazität durch Improvisationen und längerer
Arbeitszeit auszugleichen. Und längere Arbeitszeit bringt letztendlich wieder
mit sich, daß die Kraft und Zeit fehlt, uns mit unseren eigenen Strukturen auseinander zusetzen
und so einer Verselbständigung unserer Entwicklung entgegenzuwirken. Da sich
niemand kontinuierlich mit diesen Bereichen befaßt hat, ist es schwierig
einzuschätzen, ob dort Versäumnisse vorliegen und wo angesetzt werden muß,
Aufträge zu bekommen. Dann werden wie immer hektische Aktivitäten entwickelt
und all jene Dinge getan, die tagtäglich laufen müßten, wie Angebote
schreiben, Preislisten verschicken, potentielle Kunden anrufen, gute Werbungen
entwerfen. Dann ist endlich Zeit, unsere eigenen Strukturen zu diskutieren und
auch in bescheidenem Umfang den „Markt zu beobachten“ und abzuklären, wo
sich für uns neue Möglichkeiten auftun könnten.
Geht es auch anders?
Abschließend läßt sich sagen, daß ich es für notwendig halte, daß wir
uns mit all diesen Fragen inhaltlich auseinandersetzen und prüfen, ob nicht
konjunkturelle Einbrüche zumindest durch eine intensivere Beschäftigung mit
diesen Bereichen teilweise aufgegangen werden können und nicht so
existenzbedrohend werden. Ob dieser Diskussionsansatz so richtig ist, muß von
Betrieb zu Betrieb entschieden werden, ich werte ihn zumindest als Teilursache
für Auftragsflauten.
Piet für das Druckerkollektiv TIAMAT, Düsseldorf