ÜBER DIE FRAGE DER QUALITÄT IN DER HUMANITÄREN HILFE
Droht nach dem Tsunami die Hilfe?
Selbst massive Häuser hielten den Fluten nicht stand
Die Flutkatastrophe in Südasien hat eine
einzigartige Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Die "Geiz ist
geil"-Nation zeigte sich bemerkenswert mildtätig. Mit einem Mal galt das
Gegenteil, war "Helfen geil" und wurden tatsächlich alle Rekorde
gebrochen. Spenden in Höhe von 450 Mio. Euro - das hat es bei keiner
Katastrophe zuvor gegeben. Ganz offenbar ist der herrschende Trend der
gesellschaftlichen Entsolidarisierung nicht mehr unwidersprochen. Insbesondere
unter jüngeren Menschen scheint das Bedürfnis nach sozialem Ausgleich wieder
zu wachsen. Allerdings ist die Bereitschaft zur Hilfe in Not bislang eher
moralisch begründet und noch nicht Ausdruck einer politischen Solidarität mit
Menschen in deren konkreten Auseinandersetzungen. Gerade die fehlende
Wahrnehmung, dass auch Hilfe politische Implikationen beinhaltet, macht diese
anfällig, für vielfältige eigennützige Interessen in Dienst genommen zu
werden.
Thomas Gebauer, medico international - Gesundheitspolitische
Organisationen, wie die indische Sektion des "Peoples Health Movement"
oder "Health Action International" in Sri Lanka befürchten, dass nach
der Flut nun die Hilfe katastrophengleich über sie hereinbrechen könnte. Tatsächlich
treten sich in Sri Lanka inzwischen die aus allen Teilen der Welt eingeflogenen
Hilfsorganisationen gegenseitig auf die Füße. Alle sind bemüht, Zugang zu den
Katastrophenregionen zu bekommen und geeignete Claims für ihre Projekthilfen
abzustecken. An einem indischen Küstenabschnitt sollen es alleine 300 lokale
NGOs sein, die beim Wiederaufbau von gut 80 Dörfern beteiligt sein wollen.
Hinzukommen die bald 1.000 Angebote deutscher Kommunen, Krankenhäuser,
Erziehungseinrichtungen und Verbände, die alle dem Neujahrsappell des
Bundeskanzlers gefolgt sind und nun ebenfalls bei der Beseitigung der Schäden
helfen wollen. Humanitäre Hilfsorganisationen, wie die "Ärzte ohne
Grenzen", haben schon früh vor einer Überfinanzierung gewarnt und ihre
Unterstützer aufgefordert, nur noch zweckungebunden zu spenden.
Für eine nachhaltige Überwindung der Schäden, die der Tsunami an den Küsten
des Indischen Ozeans angerichtet hat, ist fraglos umfangreiche Hilfe nötig. Es
ist gut möglich, dass sogar mehr Mittel benötigt werden, als bislang zur Verfügung
stehen. Wiederaufbaumaßnahmen aber hängen nicht allein vom Geld ab. Sie
gelingen nur, wenn diese vor Ort von leistungsfähigen und in der Bevölkerung
verankerten lokalen Partnern getragen werden. In den Katastrophengebieten
Indonesiens oder von Sri Lanka, in denen zum Teil jahrzehntelange Kriege
geherrscht haben, aber ist das, was hierzulande Zivilgesellschaft genannt wird,
wenig ausgeprägt. Unabhängige NGOs und Selbstorganisationen, die den Rahmen für
eine an den Interessen und Rechten der Geschädigten orientierten Hilfe bieten könnten,
konnten sich hier aufgrund von Bürgerkrieg und autoritärer Herrschaftsformen
nicht frei entfalten.
Instrumentalisierung
Und so steht zu befürchten, dass die Hilfe für die Opfer der Flut in Südasien
für vielerlei fremde Zwecke genutzt werden wird. Schon jetzt mehren sich die
Anzeichen, dass viele der Gönner handfeste eigennützige Interessen verfolgen
und alles dransetzen werden, um aus der Katastrophe möglichst viel Kapital zu
schlagen: Das indonesische Militär nutzt die Gelegenheit zu strategisch
bedeutsamen Zwangsumsiedlungen. Die USA versuchen ihr ramponiertes Image
aufzupolieren und dabei zugleich China geostrategisch in Schach zu halten.
Spekulanten in Indien und Sri Lanka wollen verhindern, dass die Fischer in die für
den Tourismus interessanten Küstenregionen zurückkehren. Die Regierung von Sri
Lanka plant einen großen Modernisierungsschub, der neben dem Bau einer küstennahen
Autobahn auch die Errichtung mehrerer für den Trawler-Fischfang geeigneter
Tiefseehäfen vorsieht (was den Kleinfischern vollends den Gar aus machen dürfte).
Bürgermeister sehen in Hilfsprojekten eine willkommene PR-Aktion für die
eigene Wiederwahl. Hilfswerke buhlen um den Zugang zu den Medien. Unternehmen,
die ansonsten in vorderster Front der gesellschaftlichen Entsolidarisierung
stehen, präsentieren sich werbewirksam als Wohltäter (obwohl die 10 Mio. Euro,
die die Deutsche Bank im ZDF übergab, weniger als die sprichwörtlichen "peanuts"
sind und schon gar nichts im Vergleich zu den Steuererleichterungen, die den
Unternehmen in den letzten Jahren geschenkt worden waren). Das Außenministerium
nutzt die Gelegenheit, um seinen Anspruch auf Übernahme des
Entwicklungshilfeministeriums Nachdruck zu verleihen. Und die Bundesregierung
zeigt sich auch deshalb so spendabel, um Deutschland für einen Sitz im
UN-Sicherheitsrat zu empfehlen.
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