Aktion Dritter Weg:
Arbeiterselbstverwaltung statt Mitarbeiter-Führungsmodell
Aktionstage '85 Bericht aus einem Arbeitskreis
Im kapitalistischen Unternehmen basieren die Machtverhältnisse auf den
Eigentumsrechten des Besitzers der Produktionsmittel, der diese Rechte entweder
selber wahrnimmt oder "seinen" Betrieb von, in seinem Interesse
angestellten, Managern mehr oder weniger autoritär leiten läßt. Zwar gibt es
mit den modernen Managementmodellen kollegialere Formen der
Unternehmensstruktur, in denen z.B. Teamarbeit einen besonderen §tellenwert
hat, grundsätzlich sind jedoch die alten Machtverhältnisse nicht aufgehoben.
Die Absicht solcher Strukturen liegt ja auch nicht in der Entmachtung des
Unternehmens und der Befreiung der Arbeit, sondern in der erwarteten höheren
Effizienz.
In den Unternehmen der Aktion Dritter Weg fehlt nun, durch die
Neutralisierung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, die Legitimation
für die üblichen Machtstrukturen. An die Stelle der alten Hierarchien tritt
dann notwendigerweise, wenn auch nicht völlig reibungslos, die
Mitarbeiterselbstverwaltung. Erst jetzt entstehen die notwendigen
Entscheidungsspielräume für die einzelnen Mitarbeiter, erst jetzt kann aus
eigenem Willen Verantwortung übernommen werden. Es geht nun allerdings nicht
darum, alle im Unternehmen anfallenden Entscheidungen nach langwierigen
Diskussionen kollektiv zu treffen, das würde den gerade gewonnenen Spielraum
für den einzelnen von neuem und sogar noch stärker einengen. Wir unterscheiden
deshalb zwischen Sach- und Rechtsentscheidungen. Sachentscheidungen müssen von
den dafür kompetenten und demokratisch dazu legitimierten Mitarbeitern im
Rahmen ihrer jeweiligen Verantwortlichkeit getroffen werden können. Bei den
sog. Rechtsentscheidungen geht es dagegen um Probleme, die die Mitarbeiter in
ihrem rechtlichen Verhältnis zueinander betreffen.
Die Mitarbeiterselbstverwaltung ist ein immer wieder neues, manchmal auch
aufregendes und schwieriges Experiment, bei dem alle Beteiligten sich neue
soziale Fähigkeiten erwerben müssen, im Umgang miteinander, in der gemeinsamen
Verantwortung für das Unternehmen und in dem Spannungsfeld zwischen
individueller Kreativität und gemeinschaftlichem Entscheiden:
Soweit die Einführung in das Thema des Arbeitskreises, die — neben den
Erfahrungen der Teilnehmer - die Grundlage für das anschließende Gespräch
bildete. Die Fragen und Probleme waren vielfältig und interessant, wie sich in
der teilweise auch kontrovers geführten Diskussion zeigen sollte.
Da gibt es in einem selbstverwalteten Baugeschäft das Problem, daß man sich
darauf geeinigt hat, daß es für jede Baustelle einen Hauptverantwortlichen
gibt. Dieser ist nun fast automatisch in die Rolle des alten Chefs
hineingerutscht und zwar sowohl im Kontakt mit den Kunden, als auch im
Bewußtsein der anderen Mitarbeiter. Dieser "Selbstverwaltungschef"
ist dann in der unangenehmen Lage, von den Mitarbeitern gewollt, die
Chefposition einzunehmen, ohne die Machtmittel in der Hand zu haben, die
notwendigen Arbeiten auch termingerecht und unter sonstigen Zwängen
durchzudrücken. Die Position dieses Hauptverantwortlichen hält man aus
Effizienzgründen für notwendig, wobei dann auch jedes Projekt getrennt
abgerechnet wird und dabei außerdem eine Art Effizienzkennziffer des jeweiligen
"Selbstverwaltungschefs" festgestellt wird. Dabei ist es nicht weiter
verwunderlich, daß mit diesem Modell menschliches Chaos programmiert ist. Es
müssten zumindest die Erfolgskennziffern abgeschafft werden und zudem sollten
sich die Mitarbeiter wohl klar machen, daß "kapitalistische
Selbstverwaltung" nicht geht. Man kann nicht selbstverwalterisch einen Chef
bestellen, ihm keine Weisungsbefugnisse geben und daraufhin in die alte
Arbeitnehmermentalität des "Was geht's mich an" und "Der Chef
wird's schon richten" zurückfallen. Damit wird derjenige, der bereit ist,
Verantwortung zu übernehmen, zum Hampelmann des Betriebs.
Ein immer wieder auftauchendes Problem im selbstverwalteten Betrieb ist der
Mitarbeiter, der zunächst eigentlich wenig Interesse an
Selbstverwaltungsstrukturen und alternativer ökonomie hat. Sein Interesse
beschränkt sich in der Regel auf das rein Fachliche, den biologischen oder
biologisch-dynamischen Gartenbau, den Computer, das jeweilige Handwerk usw. Hier
wird eben die Bildungsaufgabe deutlich, die selbstverwaltete Betriebe nach
außen und aber auch nach innen haben, nämlich Aufklärung zu treiben über
alternatives Wirtschaften. Unter den Mitarbeitern kann das beginnen, bei den
Einstellungsgesprächen, wo neben den fachlichen und menschlichen Anforderungen
eben auch festgestellt werden sollte, wie groß die Übereinstimmung in den
Ideen, über menschliche Arbeit, Einkommensgestaltung,
Mitarbeiterselbstverwaltung und Kapitalneutralisierung ist. Das setzt aber
natürlich einigermaßen klare gemeinsame Vorstellungen der bereits im Betrieb
tätigen Mitarbeiter voraus. So etwas fällt nicht einfach vom Himmel, sondern
daran muß gearbeitet werden, z.B. in der regelmäßig stattfindenden
Mitarbeiterversammlung, die ja leicht in Gefahr ist, zur reinen betrieblichen
Informations- und Organisationskonferenz zu werden, oder an Tagungen, wie
dieser. Zu einer stellenweise kontroversen Diskussion kam es bei der Frage, ob
es einem alternativen Betrieb erlaubt sein darf, einmal eingestellten
Mitarbeitern wieder zu kündigen. Etwas pointierter formuliert lautete diese
These: "Ein selbstverwalteter Betrieb, der einen Mitarbeiter oder
Mitarbeiterin kündigt, unterscheidet sich nicht mehr von einem herkõmmlichen
Unternehmen". Das schien einigen Mitarbeitern in selbstverwalteten
Betrieben, denn doch zu abstrakt, schließlich seien sie ja nicht das Sozialamt
und wenn alle Mitarbeiter feststellten, daß sie nicht mehr bereit seien, mit
jemandem zusammenzuarbeiten, dann werde dieser eben gekündigt. Andererseits
gebe es, z.B. beim Blätterwald, durchaus auch gegenteilige Beispiele, wo sich
in einem Fall immer wieder jemand gefunden habe, der oder die sich in einer Art
Patenschaft um einen bestimmten Mitarbeiter mit besonderen Problemen gekümmert
habe. Besonders schwierig kann sich so etwas natürlich gestalten, wenn Drogen
oder Alkohol im Spiel und Therapiefragen zu lösen sind.
Das Gespräch in diesem Arbeitskreis bezog sich natürlich noch auf andere
Themen, hier sollten nur einige Schwerpunkte dargestellt werden. Wir hätten
noch lange weiter diskutieren können und dies sollte als Hinweis genommen
werden für die Notwendigkeit, den Ideen- und Erfahrungsaustausch in der "Selbstverwaltungsscene"
weiter anzuregen und zu intensivieren.
Christian Vierl