NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN
"Ökologie ist nicht alles"
- Genossenschaftliche Vermarktung im
Naturkostsektor
Getragen durch die "gegenkulturelle Vision
einer `sanften', ökologisch verträglichen, basisdemokratisch organisierten, egalitären
Gesellschaft", übernahm die Ökologiebewegung nach Einschätzung des
Sozialwissenschaftlers Karl-Werner Brand für die neuen sozialen Bewegungen Ende der
siebziger Jahre eine integrierende Rolle. Was aber ist aus der Umsetzung dieser Visionen
geworden? Anhand von sechs Genossenschaften im Naturkostsektor wird veranschaulicht, dass
einige Unternehmen dieser Branche nicht auf die Verwirklichung demokratischer Ansprüche
verzichten, die zusätzlich zur Ökologie zur Vision nachhaltigen Wirtschaftens gehören.
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Burghard Flieger, Red. Genossenschaften - Mittlerweile hat die Produktökologie als besondere
Form der Qualität bei den meisten Lebensmitteln aus kontrolliert biologischen Anbau ein
Niveau erreicht, das den Kenntnisstand des Möglichen in der Aufbruchsphase der
Ökologiebewegung weit übersteigt. Der Anspruch, ökologisch zu handeln, beschränkt sich
nicht nur auf den Produktbereich. Vielmehr wird auf vielfältige Weise versucht, den
Umweltanspuch als konsequentes Gesamtkonzept für Naturkostläden und -betriebe zu
vertiefen. Projekte wie PIKAN, ein Qualifizierungsprojekt des Bundesverbandes Naturkost
Naturwaren Einzelhandel, sind kennzeichnend hierfür. Der Name steht für den Anspruch des
Nachdenkens über "Praxis, Information, Kundenorientierung, Arbeitszufriedenheit,
Naturkost, Total Quality Management." - Viel Stoff für die Beteiligten.
Partizipation als Bereicherung
Aber war da früher nicht einmal noch etwas
mehr? Sprach Karl-Werner Brand nicht von dem Anspruch einer "basisdemokratisch
organisierten, egalitären Gesellschaft"? Würden hierzu nicht zumindest Ansätze
demokratischer Teilhabe in und zwischen Betrieben gehören, die formalrechtlich auch
abgesichert sind? Bei diesem sozialen Aspekt nachhaltigen Wirtschaftens fallen die neuen
Naturkostbetriebe weit hinter den Errungenschaften früherer sozialer Bewegungen zurück,
beispielsweise den traditionellen Konsumgenossenschaften. Einzelunternehmerschaft oder
Aktiengesellschaft scheinen die einzigen Unternehmensformen zu sein, die den Erben der
Ökologiebewegung bekannt geworden sind.
Allerdings gibt es Ausnahmen. Auch im
Naturkostsektor finden sich einige kleine und feine Betriebe, die den Anspruch
demokratischer Organisation bis heute auf ihre Fahnen schreiben. Sie sind damit
wirtschaftlich oftmals ganz erfolgreich, obwohl oder weil sie den Aufwand partizipativer
Strukturen als sinnvolle Bereicherung ökologischer Visionen verstehen. Unter dem
Stichwort "Genossenschaftliche Vermarktung" werden im Schwerpunkt dieser
CONTRASTE-Ausgabe eine Reihe spannender Beispiele aus dem Naturkostsektor dargestellt.
Jedes dieser Unternehmen geht einen eigenen Weg der Vermarktung, praktiziert
unterschiedliche Formen der Mitgliederförderung. Gemeinsam ist ihnen allen eine rechtlich
abgesicherte Struktur der Kooperation und Partizipation durch die genossenschaftliche
Rechtsform.
Vielfältige Beispiele
Das erste Beispiel, die Dreierlei e.G. in
Altenschlirf, ist ein Naturkostladen mit sozialgenossenschaftlichen Charakter, in dem die
Schaffung von Arbeitsplätzen für Behinderte und deren Versorgung einen wichtigen
Stellenwert einnimmt. Dagegen agiert die Marktgenossenschaft der Naturland Bauern e.G. mit
Sitz in Lippborg als Erzeugergemeinschaft. Gegründet als Anbieter von Ökogetreide
vertreibt sie heute ein breites Sortiment an Bioprodukten.
Aus dem Spektrum der
Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften kommen die LANDWEGE e.G. in Lübeck und die Wendland
Kooperative e.G. in Hannover. Während die LANDWEGE, erst seit neuem von einem nicht
eingetragenem Verein in eine Genossenschaft umgewandelt, mit dem Prinzip der
Rückvergütung experimentiert, hat sich die Wendland-Kooperative das Konzept des
Mitgliederladens zu Eigen gemacht. Mit einem monatlichen Fixbeitrag können die
Mitglieder, und zwar nur die Mitglieder, das breite Sortiment annähernd zum Einkaufpreis
der Genossenschaft beziehen.
Dem Großhandel zuzurechnen sind die letzten
beiden Beispiele, die Stadt-Land-Genossenschaft e.G. aus Hamburg und die NATURATA e.G.,
die Anfang dieses Jahres ihren Sitz nach Grünsfeld verlegt hat. Schwerpunkt der
Stadt-Land-Genossenschaft ist die Verteilung regional erzeugter Lebensmittel aus
kontrolliert ökologischem Landbau mit einer zentral gesteuerten Preisgestaltung für die
angeschlossenen Mitglieds-Erzeugerbetriebe. Mit ihrem regional ausgerichteten Konzept
bleibt sie beim Wachstum erheblich hinter dem mittlerweile bundesweit vertreibenden
Naturkostmarkenartikler NATURATA zurück. Um ihre Entwicklung mit starker Betonung von
Qualitätsaspekten finanzieren zu können, strebt die NATURATA eine Umwandlung in die
Rechtsform der Aktiengesellschaft an.