Monatszeitung für Selbstorganisation
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DIE DEUTSCHE REGIERUNG UND DER KRIEG GEGEN SERBIENRot-grüner MilitarismusDie Leichtfertigkeit, mit der die Bundesregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen dem Angriffskrieg der NATO gegen Serbien zustimmte, hat viele überrascht und empört. Ausgerechnet eine rot-grüne Regierung schickt zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten in einen Kriegseinsatz. Von Ulrich Rippert (31.3.99) - Wie oft hatten Funktionäre beider
Regierungsparteien den Standpunkt wiederholt, der parteiübergreifend die letzten fünfzig
Jahre Bundesrepublik prägte: »Nie wieder Krieg!«? Wie oft hatten sie ihre Mitglieder
zur Teilnahme an Friedensdemonstrationen aufgerufen und die Tradition des deutschen
Militarismus gebrandmarkt? Und jetzt?Als die Luftwaffe gemeinsam mit den
NATO-Bombern zur ersten Angriffswelle über dem Balkan aufstieg, erklärte SPD-Kanzler
Schröder in einer Fernsehansprache: »Wir hatten keine andere Wahl!« Erstens stimmt das
nicht. Niemand zwang diese Regierung dazu, sich an einer brutalen Militäraggression gegen
ein kleines Land mit weniger als zehn Millionen Einwohnern zu beteiligen. Zweitens ist es
eine politische Bankrotterklärung. Was ist von einer Regierung zu halten, die erst
Sachzwänge schafft, um dann zu behaupten, diese Sachzwänge ließen ihr keine Wahl.
Offenbar ist diese Regierung zu nichts und deshalb zu allem fähig. Ihr Opportunismus und
ihre Prinzipienlosigkeit sind schier grenzenlos. In derselben Fernsehbotschaft verkündete Schröder, der Kriegsbeschluß des Bundestages sei »in Übereinstimmung mit dem Willen der großen Mehrheit des Deutschen Volkes« erfolgt. Auch das ist falsch! Die große Mehrheit der Bevölkerung wurde zu diesem Krieg nicht gefragt. Hätte Schröder vor der Wahl - vor nur einem halben Jahr - auch nur andeutungsweise davon gesprochen, daß seine Regierung bereit sei, sich an einem Angriffskrieg zu beteiligen und sich dabei über Völkerrecht und Grundgesetz hinwegzusetzen gedenke, hätte das Ergebnis der Wahl anders ausgesehen. »Die Bundesregierung hat sich ihre
Entscheidung nicht leicht gemacht...« sagte Schröder. In Wirklichkeit hat sie nicht in
einer einzigen Frage die Konsequenzen ihres Handelns bedacht und handelt völlig
verantwortungslos. Schon in der ersten Bombennacht wurde die hauptsächliche Begründung
für diesen Krieg widerlegt. Die Bombenangriffe verhindern nicht die humanitäre
Katastrophe, sondern verschlimmern sie in gewaltigem Ausmaß. Am deutlichsten wird der ungeheuerliche
Zynismus dieser Regierung anhand der Grünen. Das Tempo, mit dem sie, kaum in die
Regierungsverantwortung gewählt, genau das Gegenteil von dem tun, was sie früher
vertreten und versprochen haben, schlägt alle Rekorde. Alle früheren Beteuerungen und
Parteitagsbeschlüsse wurden in wenigen Monaten über den Haufen geworfen. Und das von
einer Partei, die zur Zeit ihrer Entstehung vor knapp zwanzig Jahren anderen Parteien
fehlende Glaubwürdigkeit vorwarf. Wie Hohn klingt dieses Wort »Glaubwürdigkeit« heute
in Bezug auf die Grünen. »Die große Mehrheit derer, die bei den
Grünen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen Verantwortung zu tragen hat... hat
bis zu einem gewissen Grade ihren Frieden mit dem Krieg gemacht,« stellt die konservative
Frankfurter Allgemeine Zeitung am zweiten Tag der Luftangriffe befriedigt fest. Weiter
schreibt sie: »Wenn Joseph Fischer als Außenminister und Vizekanzler eines der großen
NATO-Staaten den jetzigen Einsatz mitträgt, dann braucht er keine Angst zu haben, daß
ein relevanter Teil seiner Bundestagsfraktion ihm in den Rücken fällt.« Bei den Grünen
müsse »programmatische Position und praktische Politik unterschieden werden. Denn wenn
der Außenminister Fischer den Angriff der Bundesrepublik Jugoslawien durch deutsche
Kampfflugzeuge mitträgt, befindet er sich in krassem Widerspruch zum Programm seiner
Partei«. (FAZ, 26. März 1999) In der Tat!Selbst in ihrem derzeit gültigen, vor
weniger als zwölf Monaten verabschiedeten »Magdeburger Programm« heißt es wörtlich:
»Bündnis 90/ Die Grünen tragen militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze
nicht mit.« Noch vor wenigen Wochen, am 7. März diesen Jahres - d.h. nach Rambouillet -
faßte die 13. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz in Erfurt einen Beschluß, in dem es
heißt: »Bündnis 90/Die Grünen wenden
sich grundsätzlich gegen eine Nato-Selbstmandatierung für Militäreinsätze, damit das
Gewaltmonopol der UNO nicht außer Kraft gesetzt wird.« In Zukunft - soweit es für die Grünen eine gibt - sollten die
Delegierten das Verfallsdatum derartiger Grundsatzentscheidungen gleich mitbeschließen. Die verteidigungspolitische Sprecherin der
Grünen, Angelika Beer, die sich dem »gemäßigt linken« Spektrum der
Partei zuordnet, wiederholte die Argumente des Kanzlers und des grünen Außenministers
und behauptete: »Wir hatten keine andere Möglichkeit!« Sie habe vor dieser Entscheidung
heftig mit sich selbst gerungen, sagte sie, als heische sie Respekt dafür, daß der wahre
Opportunist sich den Bruch mit seinen Prinzipien nicht leicht mache. Das ist das Ende der Grünen! Die
Nato-Bomben haben zielgenau in der Parteizentrale eingeschlagen und dort mehr Schaden
angerichtet als irgendwo sonst. Wozu braucht man eine Partei, die aus der Friedensbewegung
hervorgegangen ist und in der ersten großen Belastungsprobe erklärt: »Zum Krieg gibt es
keine Alternative!«. Viele Briefe und E-Mails an die grünen Bundes- und
Landesgeschäftsstellen, in denen Mitglieder und Sympathisanten ihre Empörung und Abscheu
gegenüber der grünen Kriegspolitik bezeugen, beginnen mit den Worten: »Nie wieder
grün!«, berichtet die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe am 30.3.99. Mit jeder Nato-Angriffswelle wächst die
grüne Austrittswelle. Seit Tagen verbringe sie ihre Zeit damit, deprimierte Mitglieder
zum Bleiben »zu bequatschen«, berichtet Anja Kofbinger vom
Berliner Landesvorstand der Grünen und der Landesverband NRW hat die Bundeszentrale
dringend aufgerufen, eine »Hotline für verunsicherte Mitglieder und Wähler«
einzurichten. Doch was soll das nützen, wenn man nichts mehr zu sagen hat, außer die
Propaganda des Kriegsministeriums zu wiederholen? Der rapide politische Verfall der Grünen
ist ein abscheuliches und abstoßendes Schauspiel, aber auch eine wichtig politische
Erfahrung. Seit den großen Antikriegsdemonstrationen und Friedensmärschen, an denen sich
in den späten siebziger und Anfang der achtziger Jahre nicht selten Hunderttausende
beteiligten, haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend verändert. In
vielen Ländern kündigten die Unternehmer die Sozialpartnerschaft auf und die
Arbeiterklasse mußte empfindliche Rückschläge hinnehmen. Die sozialdemokratischen
Parteien beteiligten sich am Sozialabbau und die Gewerkschaften stimmten Lohnsenkungen zu.
Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung vor zehn Jahren, als die stalinistischen
Regime den Weg der kapitalistischen Restauration einschlugen. Die Grünen zogen aus dieser Entwicklung die
Schlußfolgerung, daß jeder Widerstand gegen das kapitalistische System zum Scheitern
verurteilt sei und begannen ihre Standpunkte mehr und mehr den Interessen der Marktwirtschaft
anzupassen und unterzuordnen. So lange sie auf Bundesebene in der Opposition waren,
konnten sie diese Entwicklung hinter einigen radikalen Phrasen verbergen. Doch seit sie
Regierungspartei ist, wird der fortgeschrittene Fäulnisprozeß dieser Organisation von
Tag zu Tag deutlicher. Der Krieg beschleunigt alle politischen
Entwicklungen, und so verschärft sich auch der Gegensatz zwischen der schnellen
Rechtsentwicklung der Parteien und des ganzen politischen Establishments auf der einen
Seite und dem wachsenden Unmut großer Teile der Bevölkerung auf der anderen. Als am
ersten Kriegstag Kamerateams auf der Straße Interviews machten, als handle es sich um ein
Fußballmatch, waren selbst einige Reporter über die Reaktionen überrascht. Alte Frauen
und Männer sprachen über die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, den Verlust ihrer
Angehörigen und ihr Leben als Witwen und Waisen, als sei es gestern gewesen. Auch
Jugendliche äußerten sich betroffen und tief besorgt. Mit seiner Behauptung, nicht auf den Inhalt
der Politik, sondern auf ihre Darstellung in den Medien komme es an, hat Schröder diese
Art politischer Improvisation und Dilettantismus zum Programm erhoben. Derartiges Fehlen
jeglicher politischer Gestaltungskraft ist auch in anderen Ländern zu beobachten. Die
jüngste Entwicklung zeigt, welch gefährliche Konsequenzen das hat. |
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