Monatszeitung für Selbstorganisation
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DOKUMENTATION:Das rebellische Kindoder: "Nie wieder erwachsen!" Zur Funktion der Kinder-Ikone in der autonomen PropagandaDer nachfolgende Beitrag und die Abbildungen wurden dem von "HKS 13" herausgegebenen Band "hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" entnommen. H. Frankurter - In der Selbstpräsentation der militanten, linksradikalen Bewegung dominierten vom Beginn der Achtziger Jahre an "die Kämpfenden". Sie veranschaulichten verschiedene bewaffnete Kämpfe, gegen schwierig zu visualisierende, mächtige Feinde: Bullenstaat, Imperialismus, Faschismus oder Patriarchat. Ihr politischer Kontext, der Befreiungskrieg oder die polarisierte Konfrontation von Macht und Gegenmacht, charakterisierte die Kämpfenden-Ikonen. Nur starke, optimistische SiegerInnen oder zornige, konzentriert und ernsthaft angreifende KriegerInnen wurden den Ausdrucksbedürfnissen der Militanten und ihrer Konzepte gerecht, nur diese Bilder konnten in der subjektiv als zugespitzt wahrgenommenen Situation bestehen. Sie verkörperten den Willen, neues Recht und neue soziale Beziehungen mit Gewalt durchzusetzen oder Herrschaftsprojekten bedingungslos zu widerstehen. Witz, Ironie und Chuzpe blieben den Seyfried-Figuren vorbehalten, deren Ästhetik für revolutionäre Militante nur Klamauk war und die die Bilddominanz der "Kämpfenden" nicht in Frage stellten. Es waren andere Prozesse, die dazu führten, dass sich viele Militante nicht mehr von dieser alten Ikone repräsentiert sahen. Ausschlaggebend waren wie so oft Ereignisse, die schlagartig bereits registrierte Unstimmigkeiten in offene Kritik und Opposition umschlagen lassen. Die Ermordung einer Kommandantin der Guerilla in El Salvador durch ihre eigenen Genossen wegen politischer Konflikte 1982, die Erschießung des GIs Pimental durch die RAF 1985 oder die beiden toten Polizisten nach den Schüssen an der Startbahn West 1987 waren Anlässe, die eigene Theorie und Praxis grundsätzlich zu hinterfragen. Die politischen und ganz praktischen Niederlagen der Massen-Autonomie, der sozialen Bewegungen und der Guerillagruppen taten ein Übriges, um die Identifizierung mit der Kämpfenden-Ikone schwinden zu lassen. Die politisch-strategische und sozial-emanzipatorische Qualität der absoluten Militanz, des revolutionären Befreiungskriegs und der Guerilla-Mentalität wurde "neuen Fragen" unterworfen. Ist das Ergebnis revolutionärer Siege Herrschaft und Despotie? Ist der Kampf nur für den Verlust moralischer Integrität zu haben? Was alles wird dem revolutionären Soldaten geopfert? Sind militante Strategien noch Antworten auf gesellschaftliche Verhältnisse oder ignorieren sie diese? Werden diese Auseinandersetzungen verweigert oder delegitimiert, gerinnt die Kämpfenden-Ikone zum autoritären Fetisch einer unkritisierbaren "Identität". Sie wandelt sich vom Mittel der Mobilisierung gegen einen äußeren Feind zum Instrument des Regierens in der radikalen Linken - was sie immer schon auch war. Sie dient der Stabilisierung eines Binnen-Milieus und wird traditionsstiftende Mititanz-Mythologie. Die Selbstvergewisserung der eigenen tugendhaften Gesinnung wird zum Hauptargument für politische und ästhetische Technik der Präsentation, des Beeindruckens und der sinnlichen Überwältigung. Kämpferisch zu sein ist nicht mehr Bestandteil unmittelbarer Erfahrung und politisch kontrollierbarer Sinnhaftigkeit, sondern Image einer ästhetisierten Politik. Sie will als kämpferische erlebt werden, ankommen und beeindrucken - ohne einen Maßstab außer dem Verkaufserfolg ihrer Autorität selbst. Der Aufstieg der rebellischen Kinder ...
Für die "Autonome Partei" hatte die Ikone "rebellisches Kind" verschiedene Funktionen, eine war die visuelle Aussendarstellung. Die Autonomen waren gerade 1986 und 1987 konfrontiert mit einer massiven Medienkampagne, oder militärisch gesprochen: mit psychologischer Kriegsführung, in welcher der vom Staatsschutz erfundene Begriff "gewaltbereite Autonome" begierig aufgegriffen und weitererzählt wurde. Inhalt der Verklammerung von Gewaltbereitschaft und Autonome ist die Behauptung, dass Politik für Autonome nur Anlass und Vorwand der Gewalttätigkeit, Gewalt der eigentliche Zweck und das wahre Ziel all ihrer Bemühungen und jedes andere proklamierte Motiv nur vorgetäuscht sei. Diese konstruierte Bösartigkeit wird vom "natürlichen Gutsein" der Kinderbilder unterlaufen. Sie sind nicht bedrohlich, sondern kreativ und lustvoll. Sie laden ein zu einem anerkennenden Lächeln, sie sind ein Angebot, emotional teilzuhaben an ihrer fröhlichen Militanz. Die Ikonen der rebellischen Kinder spekulieren mit ihrem kindlichen Charme, ihrer sympathischen Ehrlichkeit (Abb. 3 und 4).
Die andere dockte bei schon vorhandenen
Praktiken wie dem Häuserkampf neu an und setzte "Erobern wir uns die Stadt"
wieder auf die Tagesordnung. Es ging um Aneignung, den Widerstand gegen eine
durchkapitalisierte, verwaltete und sozial kontrollierte "Lebenswelt". Symbole
dieser Interpretation waren der Volkszählungsboykott, die 1. Mai-Revolte in
In einer reformbereiten Männerfraktion
hatte die politische Trennung der Frauen und die 1987 bis 1989 stattfindende
Patriarchats-Debatte Folgen: Es gab vielfältige Bemühungen, den Konflikt zu
rationalisieren, einzugrenzen und ... und ihre Krise
Die von Teilen der Autonomen erhoffte proletarische Rebellion entlud sich 1991 und 1992 als faschistischer Pogrom, als wilde Durchsetzung einer rassistischen Ordnung, die im Kern eliminatorisch ist. Zwölfjährige Baby-Skins in Trabantenstädten und an dörflichen Bushaltestellen sind das grausame Zerrbild der eigenen Kinder-lkonen. Deren Rebellion war eine für mehr Autorität, für gesellschaftliche Teilhabe und Sättigung an der überwältigten Beute. Diese erschreckenden Erkenntnisse veränderten die politische Praxis der Autonomen nachhaltig. In dieser Zeit schob sich neben die gewinnende, optimistische Militanzparole die aggressive, defensive Antifaparole. Mit neuen politischen Erfahrungen und durch die Selbsterkenntnis und Veränderung des politischen Bewusstseins geriet die politische Repräsentation durch die Ikone der rebellischen Kinder ins Wanken. Autonome entdeckten sich selbst in der rassistischen Gesellschaft als weiße Deutsche. Das rebellische Kind repräsentierte ein "An-sich-Gutsein", das sich nur gegen eine ihm äußerliche Unterdrückung behaupten müsse, im Kampf "unten" (gutes Kind) gegen "oben" (böser Erwachsener). Die Kultivierung des politischen Status "rebellisches Kind" ignorierte die gesellschaftliche Bedingtheit des eigenen Sprechortes und Blickwinkels, die verinnerlichte Gesellschaftlichkeit. Die Vergesellschaftung der Individuen in einem kapitalistischen, rassistischen und autoritär demokratischen Deutschland prägt die Inhalte, Werte, Interessen und Fantasien der autonomen Opposition mit, lässt sie nicht unberührt. Beispielhaft dafür ist die Ikone "rebellisches Kind" selbst, ihre Bildkonstruktion und Auswahl. Sie ist instrumentell, um eine Schicht der Autonomen zu repräsentieren: Es sind lustige, kecke, gut genährte, unverletzte und freie Kinder, die Bilder schließen Depression, Brutalität, Sucht, Armut, Hunger, Rigidität, Arbeitszwang und Abhängigkeit aus, alte Eigenschaften, die das antiautoritäre, glückliche Kinderbild trüben würden. Sie reflektieren daher nicht die Sozialisationsbedingungen, die aus kleinen Kindern NationalistInnen und RassistInnen machen. Die Beliebtheit der Kleinen Strolche (Abb. 7 und 8), ein Produkt der frühen US-amerikanischen Kulturindustrie, ist ein Hinweis darauf, dass die Ikone "rebellisches Kind" ein integratives Projekt ist. Sie versöhnt die kindliche Rebellion mit der Erwachsenenwelt, sie ist ein Bild, wie sich Erwachsene Kinderwelten wünschen. "Alle" können über die Kleinen Strolche lachen, weil sie drollig sind und gewinnen, den dummen Polizisten entkommen. Sie sind Identifikationsfiguren für Kinder und Erwachsene. Sie sind keine fremden Kinder, die im eigenen Garten Äpfel klauen und Vogelnester zerstören, im Bus unangenehme Zoten reißen, provokativ gegen Mülleimer treten, Wände bekritzeln und in Museen lärmen. Sie sind in ihrer drallen Liebenswürdigkeit das innere, narzisstisch geliebte Kind. Die Bilderbuchkinder entkommen den fremden, feindlichen Autoritäten, der Wunsch wird virtuelle Wirklichkeit, denn es findet sich immer noch ein Loch im Zaun, durch das der Erwachsene nicht folgen kann.
Für Autonome, die diese Ikone im Zusammenhang mit Parolen wie "Bildet Banden" benutzten, wurde sie durch ganz alltägliche Ohnmachtserfahrungen demontiert. Zu oft war eben keine Lücke im Zaun, der blöde Wachtmeister entpuppte sich als perfektes Zielfahndungskomrnando, Wunsch und Wirklichkeit fielen auseinander. Das freche Lachen erstarb, und die alte Angst saß in allen Gliedern. Dass Autonome von gesellschaftlichen Autoritäten (RichterInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen u.a.) "wie Kinder" behandelt und vorgeführt wurden, konfrontierte sie mit den Ohnmachtserfahrungen ihrer eigenen Kindheit. Das "Was wir tun, ist gut" und "So wie wir sind, sind wir komplett" der rebellischen Kinder entlarvt sich als Abwehr massiver Versagensängste: "Alles was wir tun, ist falsch" und "So wie wir sind, sind wir unvollständig". Das einstige Überlegenheitsgefühl der Autonomen, welches als Omnipotenzfantasie zum Streit mit Mächtigeren ermutigte und vor Strafängsten schützte, zerbrach. Es regrediert zum autoritären Charakter, wenn es sich als Dünkel und Engstirnigkeit gegen andere Linke richtet. Die Kinder-Ikonen können auch "kleine Tyrannen" und "eifersüchtige Prinzessinnen" verkörpern. Diesen Konservativismus der Kinder-Ikonen, mit strenger Scheidung in Fremdes und Eigenes, entschlüsselt auch die Betrachtung der Sexualität in der bildhaften Repräsentation. Autonome Frauen und Männer versuchten nach der Auseinandersetzung um Sexismus ihre erwachsenen sexuellen Beziehungen, Wünsche und Begehren zu thematisieren. Die "Sexualität"-Ausgabe der Zeitschrift arranca (Nr. 8/1996) war nicht schnell ausverkauft, weil sie so gut war, sondern weil überhaupt eine Öffentlichkeit für dieses Bedürfnis entstand. Für Sexualität gibt es in der autonomen Linken keine öffentlich legitimierten Bilder, die nicht-pornografisch sind und die von Frauen gesetzten Grenzen und ihre Interessen respektieren. Der erigierte Penis, den auch der kleine Junge hat, was in der Ikone unsichtbar bleibt, ist aus guten Gründen tabuisiert, aber ohne dass dadurch die Ambivalenzen aufgehoben wären. Die entsexualisierte Kinder-Ikone "das rebellische Kind" repräsentiert jedenfalls kein erwachsenes Begehren und keine Sexualität, die ihre Grenzen und Ambivalenzen anerkennt, die nicht wegsieht, sondern sich ein Bild macht. Die rebellischen Kinder symbolisieren eine Haltung, die jede auf Anerkennung und Autonomie beruhende Beziehung zu Erwachsenen verweigert. Sie akzeptieren nicht die Subjektivität des Gegenüber, der sich nicht unterordnet und aufgibt. Das "Nie wieder erwachsen" der kleinen RebellInnen ist anmaßend: Jedes Anerkennen eigener Schuld und Verantwortung, jedes Einfühlungs- und Einsichtsvermögen, das die Abstraktion von eigenen Interessen und Sichtweisen voraussetzt, ist für sie ungeheuerliche, erwachsene Zumutung. Die scharf gezogene Grenze zwischen bunter Kinderwelt und der fremden Welt der Erwachsenen dichtet die Eigengruppe hermetisch ab und eröffnet die Möglichkeit eines moralischen und politischen Rigorismus gegenüber anderen. Je höher der Wert der eigenen Gruppe geschätzt wird, desto stärker erwächst daraus ein Vorrecht gegenüber allen anderen. Die ideologische Abdichtung der Kinderwelt wird erkennbar, wenn die fast durchgängige Abwesenheit von pubertären Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen auf den Bildern festgestellt wird, alles Bilder, die das mögliche Erwachsen-Werden der Kinder sichtbar machen. Die Selbstrepräsentation "rebellische Kinder" ist widersprüchlich und sehr fragwürdig, ihr sind viele Autonome Männer und Frauen entwachsen. Ob eine visuelle Selbstinszenierung überhaupt emanzipativ sein kann oder ob sie unmöglich geworden ist, darüber kann nur die politische und kulturelle Auseinandersetzung in der radikalen Linken entscheiden. |
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