Das Agrarwunder:
+ 20%! · + 20%! · + 20%!
Wenn man sich sein Leben
lang für die radikalökologische Umgestaltung der Gesellschaft und ihrer Ökonomie
eingesetzt hat, kann einem diese plötzlich von oben verordnete Agrarwende wie
ein Wunder vorkommen. "Zielvorgabe 20% Ökolandbau bis 2010!" Es ist
wirklich nicht zu glauben, und die meisten, die ich in den letzten Monaten
befragt habe, sind sowieso überzeugt davon, dass das alles wieder in der bürokratischen
Versenkung verschwindet. Oder wollen sie mit ihrem Unglauben nur ihre möglicherweise
verlorenen Biografien rechtfertigen? Da sie solange gegen die Macht des Staates
und den Terror der Ökonomie, sei es in der Antiatombewegung oder sonst einer Bürgerinitiative,
als Bioladner oder als Bäuerin, gekämpft haben? Vielleicht dämmert ihnen die
Erkenntnis, dass die ganze Mühe umsonst war, dass nur Skandale Beachtung
finden, und die politischen Änderungen, die vorzunehmen sie nicht die Macht
hatten, von den Machthabern in ihren Ämtern und Würden ausgeführt werden?
Herrmann Cropp, Redaktion Osnabrück
- Wir Alternativen hatten doch
immer so eine Abneigung gegen den Parteiklüngel und die Arroganz der Macht, wir
wollten weder Erfolg in der Wirtschaft noch ein Pöstchen im Staat, wir wollten
nie mit Machtpolitik sondern über die Einsicht der Menschen einen ökologischen
Umbau der Gesellschaft erreichen. Und nun kommt die ökologische Wende ganz ohne
unser Zutun, das kann doch nicht sein, oder?
Ich bin es nicht allein, der sich
wundert, dass die Ökobewegung sich konsequent nicht zu Wort meldet. Denn es
gibt mehr als genug Leute in ernsthaften ökologischen Projekten. Wo seid ihr?
Oder wo sind wir? ...!
Anlass der Agrarwende ist der
BSE-Skandal, nachdem sich nicht länger mehr verheimlichen ließ, dass die unter
kapitalistischem Profitzwang stehenden Futtermittelhersteller infektiöses
Material in der Nahrungskette verbreitet haben, und zwar mit Rückendeckung der
Politiker und verantwortlichen Wissenschaftler (siehe
dazu auch die Beiträge auf Seite 8).
Um die "Leistung" der Rinder zu "fördern" (man muss sich
solche Begriffe auf der Zunge zergehen lassen) wurde diesen reinen
Pflanzenfressern seit den 80er Jahren ein eiweißreiches Futter aus Tierabfällen
verabreicht, und damit eine der größten Epidemien in der Landwirtschaft ausgelöst.
Obendrein, so ratlos die außerparlamentarische Ökobewegung bzgl. der
Agrarwende ist, werden Vertreter des Ökobizz zynisch: einer der
Jubeljournalisten von "Schrot und Korn", Peter Gutting, verstieg sich
zu der Feststellung, der "BSE-Skandal ist die größte Werbekampagne für
Bio seit Tschernobyl". (siehe
auch Seite 7)
Nun haben wir also wieder eine
Wende. Nach Helmut Kohls geistig-moralischer Wende in den 80er Jahren, nach der
DDR-Wende von 1989 und der kürzlichen Energie-Wende möchte man solche Wenden für
neoliberale Propaganda halten, es wird hier ein bisschen zu oft gewendet. Man
ist auch mehr als überrascht, es muss einem verdächtig vorkommen, wie schnell
im Kanzleramt ein neues Agrarkonzept aus dem Boden gestampft wurde, das alle
Probleme der industriellen Landwirtschaft benennt, von der Silomaisprämie über
die Freigabe von Stilllegungsflächen für Futteranbau bis zum
Vertragsnaturschutz, und nicht einmal mehr staatliche Kontrolle wird angedroht,
weil "BSE ist nicht ein Problem mangelnder Kontrolle, sondern Ergebnis der
industriellen Landwirtschaft", und darum wird "eine wirkliche
Umorientierung gefordert"!
Schwerpunktthema auf den Seiten 6
bis 10.