Eine Tagung in Berlin
Die Zukunft der Selbsthilfe
Das Netzwerk Berlin, "Kooperatives
Planen, Bauen und Leben" und der Wohnbund e.V. hatten zu der Tagung eingeladen, und
wie es in Berlin kaum anders sei kann, fühlten sich einige Projekte in ihrem
Alleinvertretungsrecht beeinträchtigt und riefen zum Boykott der Tagung auf. Wortführer
des Boykotts waren die Nobelalternativbetriebe um den "Lundkreis" und ihrer
Beratungsfirma Stattwerke; aus welchen Gründen sich die ASH Frankfurt abwechslungsweise
wieder mal auf die Stattwerkseite schlug, war nicht zu erfahren. Die Boykottgründe
liessen an Fadenscheinigkeit nichts zu wünschen übrig, auch wenn die TAZ in ihrem
Dreispalter vom 18.10. so tat, als gehe es um Grundsatzfragen. Es war ganz einfach der
abgeschmackte Gegensatz von Stattwerken und Netzwerk Berlin, der in dem Boykottaufruf eine
neue Blüte trieb. Es wird wahrscheinlich noch eine Weile brauchen, bis die Alternativen
begreifen, daß ihre Gegner nicht die anderen Alternativen sind, sondern die Kapitalisten
und der Staat und ideologische Debatten um die wahre Alternativität, das unbefleckte
Bankkonzept, die schönste Form der Regionalität und die moralischste Weise der
Finanzierung, Luxusartikel darstellen, auf die man eine Weile lang verzichten sollte, um
nicht nur einen Fuß, sondern beide Beine auf die Erde zu bekommen.
Michael Berger, Freiburg - Gekommen waren dann doch etwa 150 Teilnehmer aus der
BRD und Westberlin, die meisten aus sozialen Projekten und Netzwerken, selbstverwaltete ökonomische
Betriebe und Finanzierungsgruppen waren in der Minderzahl. Die Tagung sollte freitags und
sonntags Bedingungen der inneren Organisation der Selbsthilfebewegung diskutieren und
samstags Forderungen an mehr oder minder prominente Politiker auf dem Podium stellen.
Themen waren die Bau- und Wohnungspolitik, die Sozial- und Gesundheitspolitik sowie die
Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. In den Samstag hatten die Veranstalter etwas viel
hineingepackt, sodaß kaum eine Diskussion mit den Politikern zustande kam, sondern diese
nach einigen Statements wieder das Podium für die nächste Gruppe räumen mußten.
Dennoch waren diese Stellungnahmen aufschlußreich und zum Teil eindrucksvoll. Der
Alternativsektor wird insoweit akzeptiert, wie er ein Teil des Wirtschaftsförderungsprogramms
der Länder sein kann. Wo glaubhaft gemacht werden kann, daß neue Arbeitsplätze
geschaffen werden, oder vorhandene Arbeitsplätze erhalten und erweitert werden, sind auch
staatliche Mittel zu bekommen. Nicht selten scheinen Aufträge an ungeschickter
Antragstellung und allzu schlichten Begründungen zu scheitern. Olav Sund, Chef des
Landesarbeitsamtes von NRW, erzählte beispielsweise, er habe seine Ämter jetzt
angewiesen, Beratungshilfe bei Anträgen zu geben. Insgesamt wurde vom Podium viel guter
Wille demonstriert, die Alternativwirtschaft zu fördern, vorausgesetzt sie paßt sich den
Verfahrensregeln an. Die wichtigste Frage, inwieweit die Staatsknechte die Betriebe
korrumpiert, wurde auf der gesamten Tagung nur ansatzweise diskutiert. Am aufschlußreichsten
war der Bericht des Netzwerks Bremen. Als der Senat die Bereitstellung von Wirtschaftsförderungsmitteln
signalisiert hatte, wurden vom Netzwerk 100 Projekte angeschrieben, 26 reagierten und
brachten Forderungen von 5,7 Millionen M zusammen, mit der Aussicht 200 Arbeitsplätze zu
schaffen. Der Senat stellte jedoch nur, 1,2 Millionen zur Verfügung, und versäumte auch
noch, die Verdoppelung dieser Mittel durch den EG Sozialfond in Brüssel zu beantragen.
Die Vergabebedingungen des Netzwerkes waren beim Senat nicht durchsetzbar, im Gegenteil,
es begann ein Wettlauf der Projekte zum Senat der gerissenerweise festgelegt hatte, daß
Anträge auch unabhängig vom Netzwerk gestellt werden könnten. Als Trost erhielt das
Netzwerk eine ABM-Stelle, um Antragsberatung durchführen zu können. Ab Juli '84 wurden
nun unter dem Titel "Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen" ein
Betriebsverbund (Kneipe, Druckerei, Elektrowerkstatt) mit 50.000 DM, ein Buchladen mit
38.000 DM, eine Fahrradwerkstatt mit 30.000 DM und ein Kino mit 40.000 DM gefördert.
Gegen selbstschuldnerische Bürgschaft der Belegschaft erhielten sie Darlehen auf maximal
10 Jahre zu 6% Zinsen, wobei bei vorzeitiger Rückzahlung innerhalb von 6 Jahren das
Darlehen zinsfrei bleibt. Ein glücklicher Zufall, daß die entscheidende Sachbearbeiterin
des Senats dem Netzwerk ideologisch nahesteht.
Im Ergebnis hat eine linke SPD-Fraktion
unter strikter Einhaltung von Wirtschaftsförderungsrichtlinien politisch werbewirksam
selbstverwaltete Betriebe gefördert und dem Netzwerk nur die Ehre überlassen, diese Förderung
angeregt zu haben, ohne bestimmenden Einfluß zu erhalten. Die Förderung hält sich in Größenordnungen,
die den Namen "Beschäftigungsinitiativen" verdient. Selbstverwaltete Betriebe
sollen nicht wirklich konkurrenzfähig zur mittelständischen Wirtschaft werden, sondern
die Arbeitslosenhilfe entlasten. Da ein Arbeitsloser nach Olav Sund im Jahr 24.000 DM
kostet, kommt der Staat bei dieser Art Förderung wirklich billig weg. Bezeichnenderweise
ressortiert die ganze Förderung beim Sozial- und nicht beim Wirtschaftssenat.
Trotz solcher Perspektiven der Staatsknete
konnte sich auf der Tagung kaum jemand für das Projekt Ökobank erwärmen. Die Querelen
des letzten halben Jahres um Dezentralität waren zu recht kaum noch jemand zu vermitteln.
Wichtiger war jedoch der Eindruck, daß, angeregt durch das Ökobankprojekt, allerorten
sich lokale Finanzierungsgrüppchen auf die Socken machen und ihre "Privatbank"
durch Eigenkapitalsammlung organisieren wollen, und wenn das nicht klappt, soll das
gesammelte Geld der Ökobank angeboten werden mit der Gegenforderung, plötzlich als
regionale und alleinbestimmende Ökobankinitiative anerkannt zu werden. Besonders in Süddeutschland
(Franken und München) spuken solch kühne Pläne durch die Köpfe der hoffnungsvollen
Betriebsberater. Wieder einmal wurde deutlich, daß von den Projekten und Betrieben wenig
materielle und ideelle Unterstützung des Ökoprojektes zu erwarten ist. Schade, aber die
Ökobank wird sich nach einem anderen Unterstützerkreis umsehen müssen und ihn
hoffentlich bei den Leuten finden, die nicht nur ihren Kleinstbetrieb am Laufen halten,
sondern eine machtvolle Gegenökonomie ins Leben rufen wollen..